Es ist erstaunlich, wie viel man mit einem Lächeln verbergen kann.
Ein Lächeln ist wie Make-up für die Seele. Man trägt es vor dem Verlassen des Hauses auf und wie eine zweite Haut. Es sollte nicht zu breit sein, sonst wirkt es aufgesetzt, und nicht zu schmal, sonst fragen sie, was los ist. Es sollte genau richtig sein, um durch den Tag zu kommen, ohne dass jemand zu genau hinsieht.
Ich bin ein Profi im Lächeln.
Ich lächle, wenn meine Mutter fragt, ob ich in der Schule klarkomme. Ich lächle, wenn Mia mir schreibt, dass sie an mich denkt. Ich lächle, wenn die Jungs in der Pause dumme Witze machen. Ich lächle, selbst wenn ich innerlich weglaufen möchte.
Aber Lächeln ist nicht dasselbe wie Leben. Es ist Überleben, eine Strategie, eine Schutzschicht.
Die Wahrheit ist: Ich lüge.
Ich lüge, wenn ich sage, dass alles in Ordnung ist. Ich lüge, wenn ich mich bei Mia für ihre Zuneigung bedanke. Ich lüge, wenn ich so tue, als würde mich das Wort „schwul“ in Gesprächen nicht treffen wie ein Schlag ins Gesicht – obwohl es nicht mal direkt an mich gerichtet ist. Ich lüge, wenn ich jeden Tag so tue, als wüsste ich, wer ich bin.
Und es wird anstrengend.
Nicht körperlich, sondern mental. Es ist, als würde ich jeden Morgen eine Rolle anziehen, die mir zu eng geworden ist. Es ist, als müsste ich ständig die richtige Haltung finden, damit niemand merkt, dass ich innerlich längst zusammengebrochen bin.
Heute saß ich mit Mia in einem kleinen, charmanten Café, bekannt für seine bunten Tassen und inspirierenden Sprüche auf den Servietten. Sie hatte mir einen Himbeer-Schoko-Muffin mitgebracht, meinen absoluten Favoriten. Ein Lächeln huschte über meine Lippen.
“Du bist in letzter Zeit still”, bemerkte sie.
“Müde”, antwortete ich kurz.
Sie nickte verständnisvoll. Mia war schon immer gut darin, nicht zu sehr zu bohren. Vielleicht spürt sie längst, dass etwas nicht stimmt. Oder vielleicht klammert sie sich einfach an das, was wir hatten, oder an das, was sie dachte, dass wir sind.
Ich fragte mich, ob es schlimmer ist, jemanden zu verletzen oder jemanden in der Hoffnung zu lassen, die man nicht erfüllen kann.
Ich sah sie an, in ihre Augen, ihr echtes Lächeln, ihr offenes Herz.
Und ich spürte nur eines: Schuld.
Nicht, weil ich sie nicht liebe. Sondern weil ich es versucht habe und gescheitert bin. Weil ich weiß, dass ich jemand anderes sein müsste, um sie so zu lieben, wie sie es verdient. Weil ich mich frage, ob ich überhaupt fähig bin, jemanden zu lieben, oder ob ich so sehr mit mir selbst beschäftigt bin, dass für jemand anderen gar kein Platz bleibt.
Als ich später nach Hause ging, war es dunkel. Die Stadt leuchtete in warmen Gelb-, Rot- und müden Weißtönen. Ich zog die Kapuze über den Kopf und verschmolz mit der Menschenmenge.
Meine Gedanken schweiften zu Luca, unserem Gespräch am Freitagabend, seinen Worten, meiner Antwort und allem, was unausgesprochen blieb, aber trotzdem da war – ehrlich, roh und leise.
Es fühlt sich an wie eine Grenze zwischen dem Leben, das ich spiele, und dem Leben, das ich vielleicht führen könnte. Doch diese Grenze ist dünn, und ich bezweifle, ob ich den Mut habe, sie zu überschreiten.
Zu Hause legt meine Mutter mir Post auf den Tisch. „War nichts Wichtiges“, sagt sie beiläufig. Ich nicke und lächle, wie immer.
Oben in meinem Zimmer herrscht Stille. Ich setze mich ans Fenster. Draußen geht das Leben weiter, als hätte mein inneres Chaos keine Auswirkungen auf die Welt.
Und ich frage mich: Wie lange kann man lächeln, ohne daran kaputtzugehen? Wie lange kann man lügen, ohne sich selbst zu verlieren? Und wie lange kann man so tun, als würde man leben, bevor man es wirklich tun muss?
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