Ich habe mal gelesen, dass ein Outing für queere Menschen wie ein zweiter Geburtstag sein kann – der Tag, an dem man sich endlich zeigt, wie man wirklich ist. Für mich fühlte es sich heute an wie ein Unfall in Zeitlupe.
Es war nicht geplant. Nicht vorbereitet.
Kein ruhiges Gespräch, kein safe space, kein bedeutungsschwerer Blick. Es war Wut. Verletztheit. Panik. Und ein einziger Satz, der mir rausgerutscht ist, als mein Puls zu laut schlug und mein Mund schneller war als mein Verstand.
Aber von vorne.
Der Tag war von Anfang an schief. Matheklausur, Bus zu spät, vergessene Hausaufgaben – alles Kleinkram, aber genug, um mich auf Krawall zu schalten. Als ich in der zweiten Pause dann auch noch mitbekam, dass Jonas und zwei andere über mich redeten – halb leise, halb provozierend –, war das wie ein Tropfen zu viel in einem ohnehin überlaufenden Glas.
„Ey, frag doch du, Jonas. Du bist doch sein Typ“, sagte einer. Gelächter. Nicht laut. Nicht offen. Aber laut genug.
Ich stand fünf Meter entfernt und wusste sofort: Sie meinen mich. Und Luca. Und den Moment letzte Woche, als wir geredet hatten und jemand geglaubt hatte, das wäre „mehr“ gewesen.
Ich hätte gehen sollen. Wegsehen. Weghören. Wie immer.
Aber ich drehte mich um.
„Was habt ihr gesagt?“ Meine Stimme klang ruhig. Zu ruhig.
Jonas zuckte die Schultern. „Nichts, chill. War nur Spaß.“
„Nee, sag’s nochmal. Laut. Für alle.“
Er grinste, breit und dreckig. „Dass du halt ein bisschen… na ja. Soft bist, oder? Bisschen verliebt in Luca, maybe? Macht doch nix, darf man ja heute.“
Ich weiß nicht, was genau dann passierte. Nur, dass mein Herz raste und alles in mir brannte. Und dass ich es plötzlich nicht mehr ausgehalten habe.
„Und wenn’s so wär? Was dann, Jonas? Kriegst du davon Ausschlag, oder was?“
Stille. Für einen Moment.
Und dann dieses Geräusch. Halb Lachen, halb Husten, halb Schock.
Jemand flüsterte „Was?!“ Jemand anders: „Hat er das gerade echt gesagt?“
Ich stand da. Mein Atem ging schnell. Mein Blick bohrte sich in Jonas. Und in mir tobte alles.
Weil es draußen war. Nicht im sicheren, leisen Rahmen. Nicht im geschützten Gespräch. Sondern mitten auf dem Schulhof. Mit Augen, die mich fixierten. Mit Stimmen, die sich zu Worten formten, die ich nicht mehr kontrollieren konnte.
Ich drehte mich um. Ging einfach. Nicht rennend, aber schnell. Stieg die Treppen hoch ins Schulhaus, klatschte die Tür zum Klo hinter mir zu, verriegelte die Kabine und ließ mich auf den Klodeckel fallen.
Mein ganzer Körper zitterte. Ich presste die Hände gegen mein Gesicht.
Ich hatte es gesagt. Nicht geplant. Nicht bewusst. Aber es war raus.
Und es fühlte sich nicht wie Befreiung an. Es fühlte sich an wie ein Sturz ins Leere.
Ein paar Minuten später klopfte jemand gegen die Tür. „Hey… alles okay?“, fragte eine Stimme. Leise. Luca.
Ich antwortete nicht.
Nicht, weil ich nicht wollte. Sondern weil ich nicht wusste, wie. Was sollte ich sagen?
„Hey, übrigens, du warst Teil meines unfreiwilligen Outings.“ „Keine Sorge, es war nur eine Panikreaktion.“ „Ich bin mir nicht sicher, ob ich schwul, bi, pan oder einfach nur verwirrt bin.“
Ich schwieg.
Auch er schwieg.
Ich hörte, wie er sich gegen die Wand lehnte. „Nur, dass du’s weißt… Ich fand’s mutig.“
Und ich… ich fing an zu weinen. Nicht laut. Nicht dramatisch. Nur leise Tränen. Die ehrliche Sorte. Die, die kommen, wenn man nicht mehr weiterlügen kann.
Outing? Vielleicht. Aber nicht wie in den Filmen. Kein Applaus. Kein langsames Nicken. Keine Erleichterung.
Eher Ausrasten. Eher Kontrollverlust.
Eher: Jetzt ist alles anders – ob ich bereit bin oder nicht.
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