Ich stand im Laden und starrte auf eine Wand voller Farben: Pastelltöne, Mintgrün, Lavendel, Babyblau, Rosa und Apricot.
Weiche, harmlose und ungefährliche Farben, die niemandem wehtun. Farben, die man anzieht, wenn man dazugehören will, ohne aufzufallen.
Und trotzdem konnte ich kaum atmen.
„Du brauchst nur ein Shirt, entspann dich“, hatte meine Mutter gesagt. „Was Helles, was Freundliches. Du siehst sonst immer so blass aus.“ Sie meinte es nicht böse. Sie meinte es gar nicht.
Sie sagte es wie jemand, der eine Gardine aussucht – nicht wie jemand, der sein Kind wirklich anschaut.
Ich hatte genickt. Natürlich. Und war mitgegangen.
Jetzt stand ich zwischen Regalen, Kleiderbügeln und zarten Stoffen – und fühlte mich, als hätte ich eine Rüstung abgelegt und niemandem Bescheid gesagt.
Die Musik aus den Lautsprechern war leise, irgendwas mit Klavier und elektronischen Beats, wie aus einem Pinterest-Video. Draußen regnete es nicht, aber es sah so aus, als würde es gleich anfangen. Die Welt war in Watte gepackt. Und ich war mittendrin – als Störgeräusch.
Meine Mutter stand zwei Meter weiter, hielt ein Hemd hoch. Hellblau mit kleinen, weißen Streifen. „Das ist schön! Oder findest du’s zu mädchenhaft?“ Sie grinste, aber ich zuckte zusammen. Nicht, weil das Hemd schlimm war. Sondern weil das Wort „männlich“ in meinem Kopf wie eine Keule hallte.
Ich murmelte: „Ist okay.“
Sie legte es auf den Arm. Dann: „Zieh’s bitte mal an. Nur kurz. Für mich.“
Ich nickte. Automatisch.
In der Umkleide war es zu hell, der Spiegel zu groß und die Wände zu eng.
Ich zog mein T-Shirt aus und starrte mein Spiegelbild an – dieses dünne, unsichere Ding mit halb zu großen Schultern und halb zu schmaler Taille. Wieder einmal wusste ich nicht, was ich da sah.
Wer bin ich? Was sehen andere? Was, wenn beides nie zusammenpassen wird?
Ich zog das Hemd über. Es fühlte sich falsch an, nicht unbequem, sondern einfach nur falsch.
Es war, als würde ich mir selbst beim Schauspiel zusehen, ein Casting für jemanden, der ich nicht bin – aber besser ankommen würde.
Mein Herz fing an zu rasen. Ich stand da, in diesem pastellblauen Ding, und plötzlich war da wieder dieses Gefühl: Panik. Ohne Grund, ohne Anlass. Nur dieses Zittern unter der Haut, dieses Druckgefühl in der Brust und dieses dringende Bedürfnis, sofort zu gehen.
Ich riss den Vorhang beiseite. Meine Mutter war nicht da. Wahrscheinlich in der nächsten Abteilung.
Ich zog das Hemd aus, schmiss es in die Umkleide, zog mein altes Shirt wieder an, griff meine Jacke und ging. Nicht rennend, nicht flüchtend, aber auch nicht langsam.
Draußen war die Luft kühl. Ich atmete ein, tief, zu tief – so tief, dass es weh tat. Die Welt war immer noch in Pastell. Aber in meinem Kopf war nur Graurauschen.
Ich setzte mich auf die niedrige Mauer vor dem Laden, lehnte die Stirn auf die Knie und weinte. Nicht dramatisch, nicht auffällig, einfach leise. Als wäre es das Normalste der Welt, in der Fußgängerzone zu sitzen und nicht mehr zu wissen, wer man ist.
„Panik in Pastell“ – so würde ich es nennen, wenn ich es beschreiben müsste. Wenn ich mir selbst erklären müsste, warum mich ein einfaches Hemd so aus der Bahn geworfen hat.
Aber es war nicht nur das Hemd. Es war alles.
Es war mein Körper, meine Gedanken. Diese ständige Reibung zwischen dem, wie ich mich fühle, und dem, wie ich wirken soll.
Mein Handy vibrierte. Eine Nachricht von Luca.
„Alles okay bei dir?“
Ich antwortete nicht.
Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. „Nein“ war zu wenig, und „Ja“ wäre eine Lüge gewesen.
Ich ließ den Bildschirm ausgehen und sah zu, wie Menschen an mir vorbeiliefen, Taschen trugen, lachten, sprachen, lebten.
Und ich dachte: Vielleicht bin ich nicht für Pastell gemacht. Vielleicht bin ich nicht weich, nicht leicht. Vielleicht bin ich einfach nur ich – und das reicht nicht.
Aber vielleicht… reicht es irgendwann doch.
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