Leute wie ich

„Leute wie du“ – ein Satz, der sich gleichzeitig nach Ausgrenzung und Schublade anfühlt. Ich weiß nicht genau, was Leute damit meinen, wenn sie das sagen. Vielleicht meinen sie es nicht mal böse. Vielleicht denken sie, sie wären damit tolerant oder sogar offen. Aber sobald jemand „Leute wie du“ sagt, weiß ich, dass ich nicht dazugehöre.

Eines Samstagabends lag ich auf meinem Bett und habe gegoogelt, wie viele Jugendliche queer sind. Ich habe mich durch verschiedene Foren geklickt, die alle gleich klangen: „Bin ich normal? Was ist, wenn ich es nur einbilde? Wie merkt man, ob man schwul, bi, pan, ace, trans oder einfach nur verwirrt ist?“

Ich habe keinen klaren Satz gefunden, der mir eine Antwort gibt. Keine Checkliste, kein Test, der mit „Herzlichen Glückwunsch, das bist du!“ endet. Nur andere Leute wie mich. Leute, die nicht wussten, wie sie es sagen sollen. Leute, die zu viel gefühlt haben – oder zu wenig. Leute, die nicht in das Schema gepasst haben, das andere für sie vorgesehen hatten.

Und irgendwo zwischen all den fremden Stimmen habe ich mich zum ersten Mal nicht komplett allein gefühlt.

Ich habe versucht, mir vorzustellen, wie es wäre, das laut zu sagen: „Ich bin queer.“ Zwei Wörter. Nicht kompliziert. Aber sie liegen mir quer im Hals, als hätte jemand Stacheldraht darum gewickelt.

Vielleicht, weil ich mir nicht sicher bin, ob das Wort ausreicht. Ob es zu viel oder zu wenig aussagt. Vielleicht, weil ich weiß, was es auslösen kann: Blicke, Fragen, Schweigen. Oder schlimmer noch: ein gezwungenes Lächeln, das plötzlich aufblitzt. Sätze wie: „Ich hab nichts gegen sowas“ oder „Du bist ja trotzdem noch du.“ (Trotzdem. Als ob ich jetzt weniger wäre.)

Ich frage mich manchmal, ob irgendwer wirklich weiß, wer er ist. Oder ob alle nur so tun. Ob auch Luca manchmal abends da liegt und denkt: Was stimmt mit mir nicht? Oder ob er einer von denen ist, die einfach lieben können, ohne Angst, ohne Erklärungen, ohne das Gefühl, sich selbst verteidigen zu müssen.

In der Schule gibt es keine „Leute wie mich“. Zumindest nicht öffentlich. Vielleicht ein, zwei, über die man sich hinter vorgehaltener Hand das Maul zerreißt. Einer, der sich in der neunten geoutet hat und seitdem in jeder Pause allein sitzt. Ein Mädchen aus der Parallelklasse, die sich inzwischen gar nicht mehr blicken lässt. Sie sind wie Warnschilder. So könnte es dir auch gehen.

Ich will nicht in der Pause allein sitzen. Ich will keine mitleidigen Blicke. Ich will einfach nur irgendwo dazugehören. So wie ich bin. Aber ich weiß nicht mal, wie ich bin. Nur, wie ich wirke. Wie ich wirken soll.

Mein Handy summt. Eine Nachricht von Luca. „Hausaufgaben in Mathe gecheckt?“

So belanglos. So normal. Ich schreibe: „Klar, war easy.“ Aber ich habe gelogen. Ich habe es nicht mal aufgeschlagen. Was soll ich denn sonst schreiben? „Nein, sorry, ich war zu beschäftigt damit, meine sexuelle Orientierung zu hinterfragen?“

Ich lehne mich zurück und starre an die Decke. Ich frage mich, wie viele Menschen gerade genau das Gleiche fühlen wie ich. Wie viele sitzen da draußen, mit Kopfhörern im Ohr und zu vielen Gedanken im Kopf? Und wie viele fragen sich: Wo sind die Leute wie ich?

Vielleicht sind sie näher, als ich denke. Vielleicht verstecken sie sich genauso gut. Vielleicht schreiben sie gerade ihre eigene Geschichte – leise, heimlich, zwischen den Zeilen.

Und vielleicht, wenn ich irgendwann laut genug werde, hören sie mich.

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