ZWEITES KAPITEL
MONTAG, 1. OKTOBER
3.30 UHR
Heute war die Stimmung beim Frühstück irgendwie komisch. Um die Situation etwas aufzulockern, scherzte ich: Wahrscheinlich würdet ihr lieber Blut statt Milch über eure Haferflocken gießen, was?
Mum und Dad sahen total schockiert aus. Ȇber diese Dinge spricht man nicht bei Tageslichts, zischte Mum.
Kein Wort mehr darüber bis Einbruch der Dunkelheits, befahl Dad streng. Und dann auch nur, wenn wir unter uns sind.
9.05 UHR
In meine Klasse geht ein Mädchen namens Tallulah. Sie ist nicht zu übersehen. Sie hat pechschwarze Haare und musste schon zweimal zum Direktor, weil ihre Nägel schwarz lackiert waren. Sie ist noch nicht lange bei uns, aber alle anderen Mädchen hassen sie jetzt schon.
Heute Morgen vor der ersten Stunde sprang sie plötzlich auf, stellte sich vor die Klasse und rief: Ich habe eine Ankündigung zu machen. Die meisten von euch wird das nicht interessieren, weil ihr keine Persönlichkeit habt. Daraufhin waren ein paar gemurmelte Proteste zu hören, aber sie hatte die allgemeine Aufmerksamkeit. »Ich lebe auf der dunklen Seite, fuhr sie fort. »Und wenn es hier noch jemanden gibt wie mich ....
Auf der ganzen Welt gibt es niemanden wie diche, rief ich. Gott sei Dank!<<<
»Ich möchte eine neue, geheime Organisation namens M.I.D.S. gründen, erklärte sie. Das steht für Monster in der Schule. Wir treffen uns morgen Abend an einem geheimen Ort und erzählen uns echt gruselige Geschichten über Werwölfe, Zombies und natürlich meine absoluten Lieblinge: Vampire!<
Das war ein kleiner Schock für mich. Jahrelang hört man kein Wort über Vampire und plötzlich waren sie in aller Munde.
>>Aber ich warne euch: Die Geschichten werden wirklich sehr blutrünstig sein. Wenn ihr also schnell Angst bekommt, denkt nicht einmal daran, euch anzumelden.<
>Es sind nicht die Monster, die mir Angst machen, rief ich. >>Sondern du!<<>
Das sollte nur ein Witz sein, aber der Blick, den Tallulah mir zuwarf, war beinahe tödlich. »Ich wusste, dass du einen dummen Spruch machen würdest, Markus Howlett!«, blaffte sie. >>Du kannst es einfach nicht lassen, was? Dabei bist du nichts weiter als ein totaler Feigling.<<<<
>>Einspruch!«, rief ich. >>Eine meiner Zehen ist sehr mutig!
Sie seufzte tief. Wenn du mehr über M.I.D.S. wissen willst, frag mich einfach. Aber ich kann dir nicht garantieren, dass ich dich als Mitglied zulasse.<< Sie sah mich jetzt direkt an. Denn ich bin sehr wählerisch bei den Leuten, die sich in meiner Gesellschaft aufhalten dürfen.<<<<
>>Wahrscheinlich würdest du nicht einmal dich selbst zulassen, vermutete ich.
Tallulah warf mir noch einen wütenden Blick zu, dann kam der Lehrer herein und sie ging schnell zu ihrem Platz.
>>Dieses Mädchen<«, sagte ich zu Joel, hat den Charme einer Klapperschlange.<<<
11.15 UHR
Du wirst es nicht glauben, lieber Blog, aber Joel hat beschlossen, bei M.I.D.S. mitzumachen.
>>Du willst freiwillig einen ganzen Abend in irgendeinem düsteren Loch hocken, während Miss Klapperschlange endlos von Monstern schwafelt?<«, meckerte ich.
>>Wahrscheinlich gehe ich kein zweites Mal hin«, gab Joel zu.
>>Trotzdem würde ich die Sache gerne mal ausprobieren - einfach nur, um zu sehen, wie es ist.<<<
>>>Vermutlich wird außer euch beiden niemand da sein«, sagte ich.
>>Oh nein, da irrst du dich«, erwiderte Joel. >>>Es haben sich noch andere angemeldet. Aber die gehen bestimmt nur hin, um sich über Tallulah lustig zu machen.<< Er grinste. >>Genau wie ich!<<<
22.15 UHR
>>Wir haben eine kleine Überraschung für dich«, verkündete mein Vater heute Abend.
>>>Nicht schon wieder<«, stöhnte ich.
>>>Diesmal ist es ein Geschenk<«, sagte Mum.
>>Meine eigene süße, kleine Fledermaus?<«, riet ich.
>Komm mit ins Wohnzimmer, forderte mich Dad eifrig auf. »Dann kannst du dir dein Geschenk selbst ansehen."
Ich schlurfte hinter meinen Eltern ins Wohnzimmer und Dad sagte: »Das hat bis jetzt mir gehört.<<<
>>Also ist es ein gebrauchtes Geschenk. Wow, danke!«
>>Sei still, Schatz, bat Mum. »Dies ist ein sehr wichtiger Moment.<<
>>Oh, tut mir leid«, murmelte ich.
Ich glaube, die Zeit ist gekommen, dieses Geschenk an dich weiterzugeben.<<< Dad reichte mir einen Umhang. Er war schwarz mit rotem Futter und einem spitzen Kragen. Auf der Innenseite waren Dads Initialen eingestickt, dieselben wie meine. Der Umhang war sehr schwer und wirklich aufwendig gemacht. Aber er war nicht für mich bestimmt. Ich wusste es, noch bevor ich ihn anprobiert hatte.
Erst einmal war er mir zu groß. »Du wirst bald hineinwachsen«, sagte Dad eifrig. >>Und jetzt schau dich mal im Spiegel an.<<<
>>Also können Vampire sich selbst sehen?«, fragte ich.
>>Natürlich<«, sagte Mum. >> Allerdings wird dein Spiegelbild in den nächsten Wochen vielleicht ein bisschen verschwimmen.<<<
>>Noch etwas, auf das ich mich freuen kann«, murmelte ich. >>Abgesehen von Mundgeruch und spitzen Eckzähnen.<<<<
Dann warf ich einen Blick in den Spiegel. Ich sah so lächerlich aus, dass ich losprustete. Ich beruhigte mich erst wieder, als ich merkte, dass meine Eltern nicht mitlachten.
>Leihst du ihn mir bitte mal kurz?<< Mit einer raschen Bewegung warf Dad sich den Umhang um, aber gleichzeitig berührte er ihn so behutsam, als würde es sich um etwas sehr Wertvolles handeln.
>>Hey, Dad, er steht dir.<<<
Und das stimmte. Obwohl mein Vater nicht besonders groß ist, versank er nicht in dem Kleidungsstück. Er sah einfach nur irgendwie viel imposanter aus als sonst.
>>>Ich werde nie vergessen, wie ich diesen Umhang zum ersten Mal anprobiert habe«, sagte er. »Es war kurz nach meinem dreizehnten Geburtstag und ich habe ihn vom ersten Moment an heiß und innig geliebt. Ich war so stolz, endlich dazuzugehören...<<<<
>>>Zur >Wir-lieben-Blut<-Bande, meinst du?<«, witzelte ich.
>>Könntest du bitte mal fünf Sekunden keinen dummen Kommentar abgeben?«, fragte Dad ärgerlich. >>Wäre das möglich?<<<
>>Ja, klar, tut mir leid<<, murmelte ich.
>>Denn deiner Mutter und mir bedeutet dies sehr viel. Wir sind stolz auf unser Erbe und ...<< Mum tippte ihm auf den Arm und Dad schluckte hinunter, was er hatte sagen wollen, und brummte nur: »Probier ihn noch mal an. Der Umhang gehört jetzt dir, also solltest du ihn auch tragen.<<<
Ich zog den Umhang wieder über und versuchte, wenigstens ein bisschen Begeisterung aufzubringen. Ich stellte mir sogar vor, ich wäre ein großer Zauberer. Aber das Ding passte einfach nicht, es schlotterte ausgesprochen unvorteilhaft um mich herum. Ich fühlte mich darin wie ein ausgemachter Schwindler. >>Dad«, sagte ich leise. »Das Halbvampir-Gen kann doch auch eine Generation überspringen, oder?<<<
>>>Das wäre möglich<<, murmelte Dad.
>>Ich glaube, genau das hat es getan<«, sagte ich noch etwas leiser. >>Darum nimm den Umhang bitte wieder zurück.<<
Aber ich habe mich doch schon so lange auf diesen Moment gefreut, protestierte Dad.
Ich weiß und es tut mir leid. Aber wenn ich nun mal kein Halbvampir bin ....
Dad seufzte schwer. »Ich will den Umhang nicht zurückhaben. Häng ihn in dein Zimmer, ich bin mir sicher, dass du ihn bald voller Stolz tragen wirst.<<<
Und ich war mir sicher, dass ich das nicht tun würde.
Trotzdem hängte ich den Umhang an meine Tür. Doch dann musste ich ihn die ganze Zeit anschauen. Es war, als hätte mein Vater einen seiner Anzüge in meinem Zimmer vergessen. Dieser Umhang schien förmlich zu schreien: Ich gehöre nicht hierhin! Darum ließ ich ihn schließlich im Schrank verschwinden. Aber vorher hängte ich ihn ordentlich auf einen Bügel.
Anschließend belauschte ich meine Eltern, die unten miteinander flüsterten. >> Jetzt hast du ihn verschreckt«, sagte Mum. >>Im Handbuch steht, man soll den Umhang so schnell wie möglich übergeben<«, verteidigte sich Dad.
>>Ja, aber du hast ihm zu sehr zugesetzt.<<<>
Armer Dad! Er wollte den Umhang unbedingt an seinen Sohn weitergeben und all das. Aber er kann mich nicht zwingen, etwas zu werden, was ich nicht bin, oder?
DIENSTAG, 2. OKTOBER
6.30 UHR
Bin schon wach und habe gerade den Mundgeruch- und Eckzahntest gemacht. Alles in Ordnung. Ich werde mich weder heute noch sonst irgendwann in einen stinkenden Halbvampir verwandeln. Bin mir jetzt ganz sicher, dass das Gen eine Generation übersprungen hat. Ich bin zu einhundert Prozent menschlich.
21.15 UHR
Merkwürdige Stimmung heute zu Hause, sehr angespannt und trotzdem unheimlich ruhig. Als würden meine Eltern nur darauf warten, dass etwas passiert. Bloß dass sie das leider um-sonst tun.
21.45 UHR
Joel hat angerufen, er kam gerade vom allerersten M.I.D.S.-Einführungstreffen. >>Oooh, das hättest du erleben sollen! Zuerst haben wir uns mit Tallulah getroffen.<<<
>>>Wer ist wir?<<<
>>Ach ja, richtig, wir waren zu siebt. Ein paar Jungs aus unserer Klasse und sie. Dann hat sie uns in den Wald geführt.<<<
>>>Oh-oh!<< Ich lachte.
>>>Bis zu einem geheimen Ort, von dem ich nicht mal dir erzählen darf. Na ja, vielleicht tue ich es in einer Minute doch. Sie ließ uns hinein und du weißt doch, was der Direktor für ein Gesicht macht, wenn er uns bei der Schulversammlung eine ordentliche Strafpredigt hält. Genauso sah Tallulah aus. Sie war todernst.<<<<
>>>Wie hast du es geschafft, nicht zu lachen?«, fragte ich.
>>>Oh, es kommt noch besser<«, sagte Joel. >>Wir haben uns hingesetzt und sie hat uns etwas zu essen angeboten, was ich sehr aufmerksam von ihr fand. Dann hat sie uns eine lange, gruselige Geschichte erzählt, die dir garantiert Angst eingejagt hätte, Markus. Anschließend verkündete sie, M.I.D.S.-Mitglieder müssten jederzeit bereit sein, den langweiligen genauso wie Monster es tun. Bald Alltag zu torpedieren will sie uns unsere erste Aufgabe stellen. Und unser Motto besteht nur aus drei Wörtern: Monster sind klasse! Darum müssen wir beim nächsten Mal alle eine Maske tragen. Wer nicht als Monster verkleidet ist, muss draußen bleiben. Und dann haben wir unseren geheimen Treffpunkt wieder verlassen.<<<
>>Und wo habt ihr euch denn nun getroffen?<«, wollte ich wissen.
>>Nimm's nicht persönlich, aber das kann ich dir nicht sagen. Ich hab geschworen, den geheimen Treffpunkt niemandem zu verraten.<<<
>>>Aber du gehst doch sowieso nicht wieder hin.<<<
>>Na ja, komischerweise denke ich tatsächlich darüber nach, zum nächsten Treffen zu gehen. Ich hab noch eine alte Werwolf-Maske, die ich seit Halloween vor drei Jahren nicht mehr getragen habe.<<<
>>Wahrscheinlich passt sie dir gar nicht mehr.<<<
>>>Es ist der Gedanke, der zählt<«, behauptete Joel. »Ein einziges Mal werde ich noch hingehen, denn na ja, als ich gerade abhauen wollte, meinte Talullah zu mir, sie wäre ziemlich überrascht gewesen, mich bei dem Treffen zu sehen aber sie glaubt, dass ich tatsächlich Monster-Potenzial haben könnte.<<< Joel begann wieder zu lachen. »Ich glaube, das ist das Netteste, was jemals irgendwer zu mir gesagt hat.<<<
MITTWOCH, 3. OKTOBER
7.05 UHR
Schreckliche Neuigkeiten!
Als ich vorhin aufgewacht bin, hat es in meinem Zimmer furchtbar gestunken. Total widerlich, wie eine Mischung aus verfaultem Seetang und dem stinkendsten Furz, den du je gerochen hast. Es war einfach ekelhaft.
Dann wurde mir klar, woher der Geruch kam - von mir!
Besser gesagt, aus meinem Mund. Ich stank.
Ich flitzte ins Bad und bürstete mir wie wild die Zähne. Aber der Geruch ließ sich einfach nicht wegputzen.
Dann öffnete sich langsam die Badezimmertür. Mum stand auf der Schwelle und sah mich triumphierend an.
>>>Es geht los, nicht wahr?«, rief sie begeistert.
***Laden Sie NovelToon herunter, um ein besseres Leseerlebnis zu genießen!***
Comments