Es war bereits das fünfte Mal an diesem Nachmittag, dass das Telefon klingte. Ich saß an dem riesigen Schreibtisch in meinem Büro und blickte aus dem Fenster auf den verlassenen Turm, der zum Wohnort meiner zukünftigen Luna geworden war.
— Es ist das fünfte Mal, dass er anruft, du musst das endlich klären. — Safiras schrille Stimme riss mich aus meinen perversen Gedanken. Ich blinzelte langsam, als ich sie ansah, und seufzte.
Cassandra Baumer saß nun schon seit drei Jahren in diesem Turm fest. Ich erinnerte mich noch daran, wie sie in der ersten Zeit versucht hatte, zu entkommen. Ihre Schreie hatten mich ungemein erregt. Und die ganze Zeit über rief der Gefährte ihrer Cousine an und wollte Neuigkeiten.
Ich hätte mir denken können, dass er mir ein Dorn im Auge sein würde. Schon seit der Party zu ihrem sechzehnten Geburtstag hätte ich ahnen können, dass er nicht aufhören würde, sich um Cassandra zu kümmern, selbst aus der Ferne. Andererseits sollte ich dankbar für die Gebietseingriffe des Süd-Rudels sein, die meine Eltern auf Trab hielten und verhinderten, dass der Anruf entdeckt wurde.
Der Krieg hatte auch seine Vorteile. Wolfsrudel waren nie wirklich befreundet gewesen. Für eine solche Freundschaft bedurfte es eines stärkeren Bandes, das sie vereinte. Ich vermutete, dass mein Vater genau das mit dem Ost-Rudel aufbauen wollte, dessen Prinzessin und Erbin Cassandra Baumer war. Mein einziges Problem war jedoch, dass Lucian der Cousin des Alphas des West-Rudels war, und wenn er seinem Cousin erzählte, dass ihm der Kontakt zu Cassandra verweigert wurde, würde das mit Sicherheit Probleme bereiten.
— Geh endlich ran! — schrie Safira und warf mir einen tödlichen Blick zu, doch wie eine gute Unterwürfige senkte sie den Kopf und verließ langsam das Büro.
— Hallo? — Ich versuchte, meine Stimme so kalt wie möglich klingen zu lassen.
— Ich glaube, Sie wissen, wer hier ist, und Sie wissen genau, was ich will. Ich möchte mit Cassandra sprechen. — Und da hatten wir es wieder. Lucians gebieterische Stimme am anderen Ende der Leitung ließ meinen Kiefer mahlen.
— Sie wissen ganz genau, dass Cassandra nicht sprechen kann… — Das Geräusch von etwas, das am anderen Ende der Leitung zerbrach, unterbrach mich.
— Und welche Ausrede haben Sie sich heute ausgedacht? Mit der Grenzschließung aufgrund des Vormarsches des Süd-Rudels in den letzten Jahren habe ich Ihre Ausreden toleriert und ertragen. Aber dieses Mal nicht mehr. Entweder ich spreche jetzt mit Cassandra oder ich breche morgen früh mit einer Eskorte zu Ihnen auf. — Ein Knurren stieg mir in die Kehle, aber ich war gezwungen, es herunterzuschlucken.
Mir gingen die Ausreden aus. Drei Jahre lang hatte ich mir Ausreden einfallen lassen, damit niemand aus der Familie Baumer mit ihr in Kontakt treten konnte. Genauso lange hatte ich meiner Mutter Geschichten aufgetischt, dass sie nicht mit uns sprechen wolle wegen meines Verhaltens an ihrem Geburtstag. Was sie nicht ahnten, war, dass Cassandra in diesem Turm gefangen gehalten wurde und mir als Spielzeug diente, um meine persönlichen oder sexuellen Frustrationen abzubauen.
— Sie haben zwei Stunden Zeit, um Cassie ans Telefon zu holen, sonst betrachte ich das als Kriegshandlung. — Ich verdrehte die Augen bei seiner leeren Drohung und hörte nur noch die Heftigkeit, mit der der Hörer auf die Gabel geknallt wurde.
Was hatte dieses Mädchen nur an sich, dass alle sie mochten? Zum Glück hatte ihre Cousine Daphne ein Kind bekommen, so dass sie sich ganz auf die Aufzucht des Welpen konzentrieren und Cassandra vergessen würde.
— Safira, ich brauche den Kontakt zu den Costas-Brüdern. — sagte ich, als mir ein Licht aufging. Die Blondine steckte nur ihren Kopf zur Tür herein und sah mich fragend an.
— Du weißt, dass die Costas-Brüder dafür bekannt sind, Welpen zu entführen und ihren Eltern nie zurückzugeben … Was hast du vor? — Ihre Frage erstarb, als sich die Haustür öffnete und meine Mutter mit besorgtem Gesicht eintrat, dicht gefolgt von meinem Vater, der vor Ekel knurrte.
Diskret schlüpfte Safira durch die Seitentür des Büros, während ich mich wie ein braver Sohn erhob und ihnen entgegentrat.
— Ist alles in Ordnung? — fragte ich, als ich mich an den Türrahmen lehnte und sah, wie meine Mutter mich wütend ansah und die Arme vor der Brust verschränkte. In diesem Moment sah ich nur noch, wie mein Vater von seinem Platz auf mich zusprang.
— Kann ich erfahren, warum mich die Luna des West-Rudels angerufen hat und behauptet, wir würden Cassandra nicht erlauben, mit ihrer Familie zu sprechen? — fragte meine Mutter, nachdem mein Rücken gegen die Wand geprallt war. Der Schmerz ließ mich aufstöhnen.
— Weißt du, was das Komische daran ist? Wir haben uns deswegen noch mit dem Alpha und der Luna auseinandergesetzt, weil du uns gesagt hast, oder besser gesagt, garantiert hast, dass sie bei ihrer Familie ist … — Die Stimme meiner Mutter war nicht mehr so ruhig und friedlich. Mein Vater schwieg und drückte meine Kehle zu. Ich spürte, wie seine Krallen langsam in meine Haut schnitten.
Ich rang nach Luft, als die Haustür aufsprang und zwei blutüberströmte Wölfe eintraten. Einer von ihnen hielt sich den Bauch, wo sich eine große Schnittwunde befand, der andere versuchte mit letzter Kraft, die Information weiterzugeben, bevor er zusammenbrach.
— Wir werden angegriffen … — sagte der Wolf, bevor er auf die Knie sank und zu Boden ging, sein Blut den Marmorboden überströmte.
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