Verloren In Seinen Augen

Verloren In Seinen Augen

Kapitel 1 – Die Neue

Ich hasse es, neu zu sein.

Jeder starrt mich an, als wäre ich ein Alien, der gerade aus einem Raumschiff gestiegen ist. Dabei hab ich nur ein schwarzes Hoodie an, meine Jeans sind alt, meine Haare wie immer – unordentlich und viel zu lang. Vielleicht liegt’s daran, dass ich niemandem Hallo gesagt hab. Oder daran, dass ich aussehe, als würde ich gleich wieder verschwinden.

Ein Neuanfang wird dir guttun, Leni, hatte meine Mutter gesagt. Endlich raus aus dieser Stadt, weg von dem ganzen Alten. Du wirst sehen – alles wird besser.

Aber nichts ist besser.

Es ist einfach nur… leer.

Ich klammere meine Finger um die Träger meines Rucksacks, während ich durch die Flure laufe. Die Stimmen um mich herum klingen wie ein Summen in meinen Ohren. Alle lachen, tuscheln, umarmen sich. Ich bin ein Schatten zwischen lauter Lichtern. Und trotzdem... fühle ich mich beobachtet.

Dann sehe ich ihn.

Er lehnt an einem der Spinde, als würde ihm alles hier gehören. Schwarze Lederjacke, zerzaustes Haar, eine kleine Narbe an seiner rechten Augenbraue, wie ein Blitzeinschlag. Seine Augen sind dunkel – nicht braun, nicht schwarz – sondern leer. Und trotzdem ziehen sie mich an, wie Magneten.

„Wer ist das?“ höre ich ein Mädchen flüstern.

„Kayden. Lass lieber die Finger von ihm. Der ist… gefährlich.“

Gefährlich. Das Wort prickelt auf meiner Haut wie Eis.

Ich weiß nicht warum, aber ich kann meinen Blick nicht von ihm abwenden. Und dann – verdammt – sieht er mich an.

Unsere Blicke treffen sich. Nur eine Sekunde. Aber mein Herz bleibt stehen.

Ich friere.

In der ersten Stunde setze ich mich ganz hinten ans Fenster. Obwohl auf meinem Stundenplan steht, dass ich in die dritte Reihe soll. Der Lehrer sagt nichts. Er sieht mich nur kurz an, dann fängt er an zu reden.

Ich höre nichts. Nur mein Herz. Und mein Kopf, der wie wild arbeitet. Warum hat er mich so angeschaut? War da was in seinem Blick? Oder bilde ich mir das alles nur ein?

Vielleicht drehe ich durch. Wäre nicht das erste Mal.

Nach der Schule will ich einfach nur nach Hause. Ich schiebe mich durch die Menge, meide jede Berührung. Fast hab ich es geschafft, als ich ihn spüre.

Eine Hand an meinem Arm. Fest. Warm.

„Du bist neu, oder?“

Ich drehe mich um. Da steht er. Kayden.

Er sieht mich an, als würde er direkt in mein Innerstes schauen. Meine Gedanken, meine Erinnerungen, alles. Ich kann kaum atmen.

„Ja, und?“ versuche ich zu sagen, aber meine Stimme klingt zittrig.

Er lächelt. Kein echtes Lächeln – mehr wie eine Warnung.

„Pass auf, mit wem du dich hier einlässt.“

Dann dreht er sich um und geht. Einfach so.

Ich stehe da, mein Herz rast, mein Kopf brennt.

Was meint er damit? Warum spricht er überhaupt mit mir?

Zuhause starre ich an die Decke. Mein Zimmer ist leer. Keine Poster, keine Fotos. Nur ich und der Lärm in meinem Kopf. Und jetzt – Kayden.

Warum kann ich ihn nicht vergessen? Ich kenne ihn nicht mal. Und trotzdem… ist er da.

In meinen Gedanken. In meinem Bauchgefühl. In dieser dummen, flackernden Hoffnung, dass vielleicht jemand sieht, wer ich wirklich bin. Dass ich nicht mehr so… allein bin.

Aber das ist dumm. Niemand sieht einen wie mich.

Am zweiten Tag ignoriere ich alle. Ich versuche nicht, ihn zu sehen. Ich versuche nicht, ihn zu finden. Aber er findet mich.

Wieder. In der Cafeteria. Ich stehe mit meinem Tablett, völlig verloren, als er an mir vorbeigeht. Unsere Schultern berühren sich. Ganz leicht. Und er sagt:

„Du beobachtest mich.“

„Tu ich nicht!“ schieße ich zurück, rot im Gesicht.

Er bleibt stehen, dreht sich langsam um. Seine Augen sind… anders. Tiefer. Verletzter?

„Du bist anders.“

Ich will etwas sagen, aber mein Hals ist trocken. Ich schüttle nur den Kopf und laufe weg.

Später an meinem Spind wartet ein Zettel.

Du wirst es hier nicht lange aushalten, wenn du ihm zu nah kommst.

Keine Unterschrift. Nur diese eine, schiefe Handschrift.

Ich starre ihn an, als könnte ich ihn verbrennen. Wer schreibt sowas? Und warum?

Ich reiße den Zettel zusammen und stopfe ihn in meine Tasche.

Aber das Gefühl bleibt.

In der dritten Woche – ich habe gerade endlich meinen Lieblingsplatz in der Bibliothek gefunden – taucht er wieder auf. Kayden.

Er setzt sich einfach mir gegenüber. Kein Wort. Keine Erklärung.

Ich starre ihn an.

„Was willst du?“ frage ich leise.

„Nichts“, sagt er. „Ich will nur… kurz irgendwo sein, wo es ruhig ist.“

Ich sage nichts. Ich nicke nur. Und irgendwie sitzen wir dann einfach da. Schweigend. Minutenlang.

Und es ist okay.

Als er geht, sagt er: „Du bist nicht wie die anderen.“

Ich will ihm sagen, dass er auch nicht ist wie die anderen. Aber ich traue mich nicht.

Dann, eines Nachts, kann ich nicht schlafen. Der Regen prasselt gegen mein Fenster. Ich ziehe meine Jacke über und gehe raus. Einfach laufen. Weg von allem.

Und da steht er. In der Dunkelheit. Als hätte er gewusst, dass ich komme.

„Warum verfolgst du mich?“ frage ich.

Er lächelt – dieses dunkle, traurige Lächeln.

„Vielleicht bist du die, die mich verfolgt.“

Ich schüttle den Kopf. „Du bist verrückt.“

„Vielleicht. Aber besser verrückt als… wie du.“

Ich zucke zusammen. „Was meinst du damit?“

Er tritt näher. Ganz nah. Ich kann seinen Atem spüren.

„Ich sehe es in deinen Augen. Du versteckst was. Etwas, das weh tut.“

Ich will etwas sagen. Aber meine Stimme bricht. Er hat recht.

„Was ist mit dir passiert?“ flüstere ich.

Er schaut weg. „Du willst es nicht wissen.“

„Doch. Ich will es wissen.“

Er sieht mich lange an. Dann sagt er: „Ich habe jemanden verloren.“

Mein Herz zieht sich zusammen. Ich auch.

„Ich auch“, sage ich.

Dann stehen wir einfach da. Im Regen. Wortlos. Aber nicht mehr allein.

Als ich nach Hause komme, ist mein Herz schwer und gleichzeitig… leicht. Als hätte jemand es gesehen. Wirklich gesehen.

Aber am nächsten Morgen ist da wieder ein Zettel an meinem Spind.

Bleib weg von ihm. Er ist nicht gut für dich.

Und diesmal… ist Blut auf dem Papier.

Oder Farbe? Ich weiß es nicht. Aber es reicht.

Ich renne zur Toilette, meine Hände zittern. Ich wasche das Papier ab, bis es sich auflöst. Ich will schreien. Aber niemand darf sehen, wie schwach ich bin.

In der letzten Stunde sitze ich neben dem Fenster. Draußen wird der Himmel schwarz. Ein Gewitter kommt.

Plötzlich steht Kayden in der Tür. Er gehört gar nicht in diesen Kurs. Und trotzdem kommt er direkt auf mich zu.

„Komm mit.“

Ich starre ihn an. „Was? Nein!“

„Bitte“, sagt er leise. „Nur fünf Minuten.“

Und irgendwas in seiner Stimme lässt mich aufstehen. Ich folge ihm raus. Durch leere Flure, vorbei an Fenstern, die vom Regen beschlagen sind.

Dann stehen wir in einem leeren Musikraum.

„Ich wollte dich warnen“, sagt er. „Du bist in Gefahr.“

„Wegen dir?“

Er zögert. Dann: „Wegen denen, die mich hassen.“

Ich will lachen. Aber ich kann nicht. Weil ich plötzlich weiß – er meint es ernst.

„Warum?“

„Weil ich etwas gesehen habe. Etwas, das ich nicht hätte sehen dürfen.“

Er sieht mich an. Seine Augen sind voller Dunkelheit. Und Schmerz.

„Und jetzt bist du Teil davon.“

Ich schlucke. Meine Hände zittern.

„Ich wollte das nicht“, flüstere ich.

„Ich auch nicht.“

Dann – ohne Vorwarnung – nimmt er meine Hand. Ganz leicht. Fast so, als würde er fragen, ob er darf.

Ich lasse ihn.

Und in diesem Moment weiß ich: Ich bin verloren.

Nicht in der Schule. Nicht in meinem neuen Leben.

Sondern in seinen Augen.

Fortsetzung folgt in Kapitel 2... 🖤

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