La Mélodie Der Jugend

La Mélodie Der Jugend

Bleu und Weiß

Nach Jahren intensiver Ausbildung, langen Nächten in der Klinik und stetem Streben nach Exzellenz saß sie nun in ihrem Büro, die Beine übereinandergeschlagen, eine Hand sanft um die warme Kaffeetasse gelegt. Der Blick ruhte zunächst auf den Akten der anstehenden Patienten, doch bald ließ sie die Papiere beiseite, lehnte sich zurück und wandte den Blick hinaus in die stille Szenerie vor ihrem Fenster. Die morgendliche Sonne tauchte die Stadt in ein mildes, beinahe magisches Licht, das sich wie eine zarte Folie über die Dächer und Fassaden legte. Hinter der Glasfront der Klinik lag die Welt ruhig und geordnet – ein Kontrast zur emsigen Geschäftigkeit der Räume hinter ihr.

Als sie ihre Gedanken schweifen ließ, wanderte ihr Blick hinab zur Straße, wo eine kleine Bank stand. Ein junger Mann saß dort, leicht gebeugt, mit einer schwarzen Kappe tief ins Gesicht gezogen. Seine Gestalt – weder besonders groß noch auffallend schlank, eher von jener kräftigen Durchschnittlichkeit – erinnerte sie an jemanden, der lange in den Falten der Vergangenheit verborgen gelegen hatte, bis dieser Augenblick ihn ans Licht zurückrief. Etwas an ihm – vielleicht die lässige Haltung oder die Art, wie er ruhig und gelassen in die Ferne blickte – zog sie in eine längst vergangene Zeit zurück.

Unwillkürlich musste sie an ihre Mittelschuljahre denken. Damals, in der Unschuld und Unsicherheit jener Tage, hatte sie einen Jungen gekannt, der ihr Herz auf jene stille Weise erobert hatte, die manchmal stärker und dauerhafter ist als lautes Verlangen. Er war der schweigsame, höfliche Junge, der kaum Aufsehen erregte und sich von den anderen absetzte wie eine Insel im tobenden Meer. Niemand verstand ihn recht; vielleicht hatte auch sie ihn nie wirklich verstanden, doch gerade das hatte sie umso mehr zu ihm hingezogen. Sie erinnerte sich an seine Augen, die oft irgendwohin blickten, wo niemand sonst hinsah, und an die ruhige Kraft, die in seiner Art zu stehen, zu laufen, ja sogar zu schweigen lag. Wie oft hatte sie versucht, seine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, doch er schien in einer anderen Welt zu leben – einer, die nur ihm selbst gehörte.

Ein Lächeln spielte um ihre Lippen, als sie an eine Stunde im Sportunterricht dachte. Es war Fußballtraining, und sie hatte sich die Herausforderung gestellt, ihn zu stoppen, als er mit sicherem Schritt und entschlossener Miene den Ball auf das Tor zusteuerte. Mit angespannten Muskeln stellte sie sich ihm in den Weg, entschlossen, ihm den Ball abzunehmen. Doch als seine Schulter die ihre streifte, spürte sie die Kraft seines Körpers so intensiv, dass sie förmlich zurückprallte. Diese flüchtige Berührung – warm, stark, doch ohne jeden Hauch von Aufdringlichkeit – hatte mehr in ihr bewegt, als Worte es jemals gekonnt hätten. Damals hatte sie oft verstohlen zu ihm hinübergeblickt, hatte darauf gewartet, dass er sie vielleicht auch einmal ansehen würde. Doch er war geblieben wie das Wasser eines stillen Sees: ruhig, unnahbar, unbewegt.

„Du schaust ihn die ganze Zeit an“, hatte eines Tages ein Mitschüler zu ihr gesagt und sie dabei mit einem vielsagenden Lächeln gemustert. Sie hatte verlegen weggesehen und abgelenkt gelächelt, aber insgeheim hatte sie gewusst, dass dieser Satz wahr war – zu wahr. Jener Junge, schweigsam und voller innerer Stärke, war für sie das ungreifbare Geheimnis jener Jahre gewesen.

Nun, während sie diesen unbekannten Mann auf der Bank betrachtete, der nichts ahnend in die Ferne blickte, konnte sie sich des Gedankens nicht erwehren, dass irgendwo in der Tiefe ihres Herzens noch immer ein Nachhall dieser ersten, wortlosen Liebe lebte.

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