Ep.2

...

Ein blendender Glanz zwang ihn, für einige Sekunden die Augen zu schließen, danach konnte er sich wieder normal umsehen. Noah betrachtete den Ort mit leichter Furcht, denn seiner Wahrnehmung nach sollte er bereits tot sein... doch da war er. In einem kleinen, leeren Raum.

Wohin er auch blickte, alles, was er sehen konnte, war die Farbe Weiß. Die Wände, die Decke und der Boden waren weiß. Sogar seine Kleidung war weiß. Er trug eine Art Nachthemd und war barfuß. Es gab nichts weiter an seinem Körper. Neugierig untersuchte er die Stelle, an der er erstochen worden war. Zu seiner Überraschung war die tödliche Wunde verschwunden, obwohl eine leichte Narbe an der Stelle zurückgeblieben war, die man kaum sehen konnte, wenn man nicht darauf achtete. Es war eine dünne Linie, die auf seiner glatten Haut eingeprägt war. Noah fuhr mit den Fingern darüber und spürte das Relief.

—Scheint, als wäre nichts da...

Seine Neugier gestillt, ging er auf und ab und umrundete den Raum mehrmals, aber er fand keinen Ausgang.

In einer so trostlosen Umgebung konnte er nichts tun, als die schreckliche Einsamkeit zu ertragen.

Noah setzte sich auf den Boden, und während er von der Stille und der Sehnsucht erdrückt wurde, musste er unweigerlich an seine letzten Sekunden denken. Es schien, als hätte er seinen letzten Atemzug getan, als er seinen Ehemann rettete. Und das Beunruhigendste war, dass er in seinen Armen gestorben war.

Aus irgendeinem Grund ließ die Scham sein weißes Gesicht erröten.

—Vier Jahre Ehe, und erst jetzt lernst du, nett zu sein... Idiot! schalt er.

.

Eine unbekannte Zeitspanne verging, und er stellte fest, dass er weder Hunger noch Durst noch Schlaf verspürte. Was ihn noch mehr beunruhigte. War er überhaupt noch ein Mensch?

.

Es mögen nur Sekunden oder Jahrhunderte gewesen sein. Noah wusste es nie, aber als er glaubte, er würde bis zum Ende der Zeit in dem leeren Raum bleiben müssen, erschien wie aus dem Nichts ein einfacher Tisch mit einem Stuhl, genau in der Mitte des Raumes. Auch die beiden neuen Gegenstände waren weiß.

Mit tausend Fragen im Herzen näherte sich Noah dem Tisch und sah, dass in der Mitte auch ein Buch lag. In der Annahme, dass er in den Seiten irgendeine Antwort finden könnte, blätterte er es ohne Zeitverlust durch.

Mit seinem rosafarbenen Einband sah es aus wie ein Liebesroman. Als er es in der Hand hielt, sah er den Titel: "Mein geliebter Engel".

Sobald er die erste Seite gelesen hatte, erstarrte Noah. Er betrachtete das Buch mit Erstaunen und vor allem mit leichter Wut.

Er wollte es von sich werfen, widerstand aber dem Impuls und las weiter. Vielleicht aus Langeweile oder aus Sensationslust las er das ganze Buch in drei Stunden durch.

Er warf einen Blick auf die letzte Seite und schlug das Buch mit größter Selbstverständlichkeit zu. Er betrachtete den Umschlag und seufzte. Dann nahm er das Buch verärgert in die Hand und schleuderte es mit aller Kraft gegen die Wand. Das arme Buch wurde dabei zerstört. Die Seiten lösten sich und flogen über den Boden. Doch Noah kümmerte es nicht. Es schien, als sei diese Sammlung von Blättern etwas Schmutziges, das keinen zweiten Blick wert war.

—Verdammtes Drecksbuch! schrie er aus vollem Halse. —Wer hat es gewagt, das zu schreiben? Ist es ein Gott oder das Schicksal? Dann fickt euch! erklärte er ohne ein Fünkchen Reue.

Wie zum Hohn begannen die verstreuten Blätter zu zittern und hatten sich kurze Zeit später wieder zu einem Buch in perfektem Zustand zusammengefügt.

Noah verfolgte den ganzen Vorgang, und obwohl er etwas Angst verspürte, ignorierte er sie und ballte die Fäuste.

—Verpisst euch! So ist es nicht gelaufen.

Als er die Augen öffnete und begriff, dass er sich wahrscheinlich in einer seltsamen Art von Schwebezustand befand, beschwerte er sich nicht und weinte auch nicht. Denn schließlich war es seine Entscheidung gewesen, das Messer abzublocken. Ob gut oder schlecht, er hatte es so gewählt.

Doch nachdem er diesen "romantischen" Schmöker gelesen hatte, konnte er sich nicht mehr zurückhalten und brach in Tränen aus. Nicht aus Trauer oder Reue, sondern aus Wut.

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"Mein geliebter Engel" war die Geschichte eines Alphas, der im Dreck aufgewachsen war und trotzdem wie ein Diamant glänzte. Er ertrug die Nöte, die ihm das Leben auferlegte, und schlug sich durch. Er war sogar gezwungen, einen bemitleidenswerten Beta zu ertragen, der sich an ihn klammerte. Doch alles änderte sich, als er an die Universität kam, denn dort lernte er seinen Seelenverwandten kennen, einen wunderschönen Omega, rein und edelmütig von Herzen. Was war er schon gegen diese Schönheit, ein gewöhnlicher Beta? Nichts.

Natürlich verlief es für die Turteltauben nicht ganz so einfach, denn beide hatten Beziehungen hinter sich. Der Alpha wurde Tag und Nacht von dem Beta belagert, und der Omega wurde von seinem gelähmten Verlobten belästigt, der sich auch noch als der Hauptschurke herausstellte. Arme Turteltauben!

Als ob das Schicksal sie entschädigen wollte, kamen nach einiger Zeit eine Reihe von Geheimnissen ans Licht, z. B. dass der Alpha aus reichem Hause stammte usw., usw. Nach einigen ähnlichen Verwicklungen - und aus einem Grund, der völlig unerwähnt bleibt - erfuhr der Beta, der den Alpha belästigte, eine Verwandlung und sein sekundäres Geschlecht änderte sich zu dem eines Omegas.

Man könnte meinen, dass sich die Probleme des liebenswerten Paares dadurch noch verschärfen würden, doch das Schicksal meinte es wieder einmal gut mit ihnen.

Dieser neue Omega wurde gezwungen, den gelähmten Bösewicht zu heiraten, nachdem man sie in einer höchst peinlichen Situation erwischt hatte. Das löste die Probleme der Turteltauben! Die übrigens als die betrogenen Opfer dastanden.

Wer würde es nach alledem wagen, sie dafür zu verurteilen, dass sie ihre Beziehung "offiziell" machten?

Wie praktisch!

In der Mitte des Romans findet dieser widerwärtige Omega sein Ende durch die Hand des Geliebten des Bösewichts. Und so ist die halbe Miete für die armen Protagonisten schon mal erledigt. Niemand beweint den Tod des vergessenen Omegas, denn er interessiert niemanden. Und viele sagten sogar, er hätte es verdient, weil er mit hinterlistigen Tricks in die Betten anderer gestiegen ist.

Ja, die Protagonisten verlieren ein paar "nette" Worte über den ermordeten Jungen, aber es ist nicht einmal ein halber Satz. Sie machen mit ihrem Leben weiter, Händchen haltend und lächelnd.

Nur ist nicht lange alles Friede, Freude, Eierkuchen, denn das Beste kommt noch. Sie müssen sich noch mit dem Hauptschurken herumschlagen, der die Dreistigkeit besitzt, ihre Familien einer Reihe von ziemlich schweren Verbrechen zu beschuldigen. Als der Schatten auf die glänzende Zukunft der beiden Protagonisten fällt, bestellt der Alpha den Bösewicht an den Rand einer Klippe ein. Warum? Für mehr Dramatik natürlich!

Und am Ende stürzt der Bösewicht durch seine eigene Schuld die Klippe hinunter und stirbt, als er auf den Felsen aufschlägt. So verschwinden alle Erzfeinde der Protagonisten und sie können sich ganz ihrer Liebe zueinander widmen, denn die anderen kleinen Schurken verdienen nicht einmal ihre Aufmerksamkeit. Eine einfache Handbewegung, und sie werden weggefegt, bis sie verschwunden sind.

Ende, tätäää.

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Heiße Tränen strömten Noah über die Wangen. Jedes Wort, das er las, schien seinen Kampfgeist zu entfachen.

—Nichts davon ist wahr! warf er ein. Die Geschichte, die er erlebt hatte, war eine ganz andere. Es stimmte, dass die Szenen die gleichen zu sein schienen, aber der Hintergrund war ein ganz anderer.

—Es ist nicht fair, dass diese Art von Lügen ungestraft davonkommt, murmelte er, während er zu dem Buch ging. Mit Groll im Herzen trat er fest darauf herum. —Sie sind die wahren Bösewichte! Wählst du so deine Favoriten aus, Gott, Schicksal, oder was auch immer du bist? Verdient diese Art von verräterischem Wesen das Glück, aber ich nicht? beendete er seinen Satz mit einem Schrei, so laut, dass sein Hals schmerzte. Er wischte sich die Tränen grob ab und fuhr fort: —Was habe ich falsch gemacht, hä? Mich in diesen Idioten zu verlieben? Auf die Worte meiner Mutter zu hören... dieser Frau? Scheiß drauf! Als ich erfuhr, dass sie sich liebten, habe ich mich zurückgezogen! Verdiente ich nicht ein Fünkchen Mitleid?

In diesem Moment wurde er von einem Licht geblendet, und er hatte keine andere Wahl, als die Augen zu bedecken.

—Schon gut, schon gut, schon gut. Ja, das Schicksal hat mit dir gespielt. Wen interessiert's? Komm darüber hinweg, sagte eine weibliche Stimme, die aus allen Richtungen kam. —Du lässt einen ja nicht mal ausruhen. beschwerte sich das Wesen auf kindliche Weise.

—Wer bist du? Der Omega nahm seinen ganzen Mut zusammen, um zu fragen. Er versuchte, die Augen zu öffnen, aber das Licht war zu grell. Ihm blieb nichts anderes übrig, als die Augen geschlossen zu halten.

—Ist das wichtig? Ach, egal, ich sag's dir. Mir ist langweilig, und ich habe seit Jahrtausenden mit niemandem mehr gesprochen. Ich bin die Gottheit, die für die Geschichten zuständig ist. Es ist meine Aufgabe, den auserwählten Kindern den richtigen Weg zu weisen.

Noah verarbeitete die Worte sehr schnell, schließlich war er in diesem Raum gewesen, ohne schlafen, essen oder auf die Toilette gehen zu müssen. Eine solche Erfahrung konnte nicht menschlich sein. Es erschien ihm also nicht abwegig, einer Gottheit gegenüberzustehen.

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