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Rapunzel - Influencerin Im Turm

Vorwort

Es gibt Märchen, die sind zeitlos. Und dann gibt es Rapunzel. Ein Mädchen mit absurd langen Haaren, eingesperrt in einem Turm, wartend auf einen Prinzen, der sie rettet. Ernsthaft? In einer Welt, in der wir per Drohne Essen bestellen und selbst Kühlschränke Internet haben, soll eine Frau jahrelang im Turm hocken und auf einen Mann warten, der sie da rausholt? Klingt nach einer schlechten Netflix-Serie aus dem letzten Jahrzehnt. Aber vielleicht liegt darin der Reiz. Märchen sind oft so abwegig, dass man sich fragt, ob die Leute damals entweder sehr fantasievoll oder einfach wahnsinnig gelangweilt waren. Doch anstatt das Ganze als nostalgischen Unsinn abzutun, habe ich mir überlegt: Was, wenn Rapunzel heute leben würde? Was, wenn ihr Turm nicht nur ein Gefängnis, sondern eine Bühne wäre? Willkommen in der Welt von Rapunzel, Influencerin im Turm. Eine Geschichte, die sich nicht um Magie dreht, sondern um Followerzahlen. Hier gibt es keine Hexe mit Zauberkräften, sondern einen Social-Media-Manager, der genau weiß, dass ein Mädchen mit drei Meter langen Haaren das ultimative Marketingpotenzial hat. Der Turm? Kein verfluchter Ort, sondern ein exklusiver Drehort mit perfektem Lighting. Der Prinz? Kein strahlender Retter, sondern ein aufstrebender Influencer, der Rapunzels Reichweite für sich nutzen will. Aber was passiert, wenn die perfekte Märchenwelt plötzlich Risse bekommt? Wenn Likes nicht mehr glücklich machen und Algorithmen das Leben bestimmen? Kann eine moderne Rapunzel sich selbst retten – ohne Happy End, aber mit einer ordentlichen Portion Sarkasmus? Diese Geschichte ist für alle, die sich jemals gefragt haben, ob das Märchen-Prinzessinnen-Ding nicht ein verdammt schlechtes Geschäftsmodell ist. Und für alle, die wissen, dass manchmal der beste Weg zur Freiheit nicht durch eine Rettung, sondern durch einen gut geplanten Exit-Strategie-Post führt. Viel Spaß im Turm. Aber keine Sorge – WLAN gibt’s diesmal.

»Rapunzel, lass dein Haar herunter!«

Was für eine bescheuerte Idee. Erstens: Wer zur Hölle würde sich freiwillig an seinen eigenen Haaren aus dem Fenster hängen lassen? Haare sind kein verdammtes Kletterseil. Die würden reißen. Und falls nicht, würde Rapunzel spätestens nach zwei Rettungsaktionen eine Glatze haben.

Zweitens: Warum kommt eigentlich keiner auf die Idee, eine verdammte Leiter zu benutzen? Oder ein Seil? Oder die Tür zu suchen? Nein, stattdessen müssen wir uns mit diesem absurden Konzept rumschlagen, dass ein Typ an meterlangen Extensions hochkraxelt wie ein hyperaktives Äffchen. Drittens: Warum ist sie überhaupt im Turm? Wer sperrt heutzutage noch jemanden in einen Turm? Ach ja, die Antwort ist einfach: Social-Media-Manager. Willkommen in der Welt von Rapunzel 2.0. Hier gibt es keine böse Hexe, die ein unschuldiges Mädchen entführt. Stattdessen gibt es eine PR-Strategin, die den ultimativen Social-Media-Star erschaffen hat. Exklusiv. Abgeschottet. Perfekt inszeniert. Rapunzel wurde nicht verflucht – sie wurde vermarktet. Der perfekte Instagram-Moment Rapunzel war nicht immer eine berühmte Influencerin. Es begann ganz harmlos. Sie war nur ein Mädchen mit außergewöhnlich langem Haar und einer Schwäche für Beauty-Produkte. Und dann kam sie – Madame Gothel, Marketing-Genie, PR-Strategin, Social-Media-Puppet-Master. »Liebes, du hast keine Ahnung, wie wertvoll du bist.«

Natürlich nicht. Sie war sechzehn und postete Selfies mit schlechten Filtern. Aber Gothel sah mehr. Sie sah eine Marke. Eine Legende. »Denk groß. Denk global. Denk Märchenhaft.« Und so wurde aus Rapunzel eine Sensation.

Gothel sperrte sie nicht in einen Turm, weil sie böse war. Nein, sie war einfach geschäftstüchtig. Wer will schon, dass seine Marke verwässert wird? Exklusivität verkauft sich besser. Ein Star muss unnahbar sein. Paparazzi? Keine Chance. Kollaborationen? Nur, wenn sie sechsstellig sind. Dates? Auf keinen Fall. Der Turm war kein Gefängnis – er war ein Konzept. Natürlich bekam Rapunzel Highspeed-WLAN und den neuesten iPhone-Vertrag. Natürlich hatte sie ihr eigenes Studio mit Ringlicht in jeder Ecke. Natürlich war ihr Tagesablauf durchgeplant – morgens ein Beauty-Tutorial, mittags eine Live-Q&A, abends ein Storytime-Drama, das Millionen Klicks generierte. Ihr Haar? Trademarked. Ihre Produkte? Limited Edition. Ihre Fans? Abhängig. Alles lief perfekt. Bis es das nicht mehr tat. Der Algorithmus schlägt zurück Jeder Influencer hat seine Blütezeit – und seinen Niedergang. Zuerst war es nur ein kleiner Rückgang in den Zahlen. Dann wurden die Engagement-Raten schlechter. Dann kamen die ersten kritischen Kommentare: ›Warum geht sie nie raus?‹ ›Ist das alles Fake?‹ ›Hat jemand sie jemals in echt gesehen?‹ Das Märchen bekam Risse. Menschen lieben Legenden – aber noch mehr lieben sie Skandale. Rapunzel wusste, dass sich etwas ändern musste. Aber Gothel ließ nicht locker. »Liebes, es ist nur eine Phase. Ein neuer Hairstyle-Trend, eine Challenge, ein bisschen Drama – und du bist wieder oben.«

Aber Rapunzel hatte genug. Sie hatte genug von den inszenierten Perfektionismus-Shootings. Genug von den geplanten Tränen-Videos. Genug davon, dass ihr Leben ein Content-Kalender war. Und dann kam er. Nicht als Prinz. Nicht als Retter. Nicht als der strahlende Held eines alten Märchens.

Er kam als Follower mit einer DM. »Rapunzel, bist du wirklich frei?«

Locken, Likes, Langeweile

Rapunzel wachte auf, als ihr Smartphone vibrierte. Wahrscheinlich ein neuer Kommentar, ein Like, eine Nachricht von Gothel mit den Worten: »Liebes, poste endlich was! Deine Engagement-Rate sinkt!« Sie blinzelte gegen das blaue Licht ihres Displays. 132 neue Benachrichtigungen. Super. Wieder ein virales Video? Oder ein Shitstorm? Bei Social Media wusste man nie. Sie scrollte durch ihre letzten Posts. Ihr Haarpflege-Tutorial hatte wie erwartet gut performt. Die Leute liebten es, wenn sie ihre »natürlich seidige Mähne« präsentierte – was natürlich kompletter Bullshit war. Ohne teure Pflegeprodukte und stundenlanges Styling wäre ihr Haar eine Katastrophe. Aber das durfte niemand wissen. »#WokeUpLikeThis« stand unter ihrem neuesten Bild. Natürlich eine Lüge. Niemand wachte mit perfekt fallenden Locken auf. Niemand. Aber die Leute wollten es glauben, also lieferte sie es ihnen. Rapunzels Tagesablauf war genau geplant. Frühstück? Nur, wenn es fotogen war. Ein Avocado-Toast mit Chiasamen und einem ästhetisch platzierten Kaffee – nicht, weil sie das mochte, sondern weil es gut auf Instagram aussah. Dann ein paar Selfies im Turmzimmer, sorgfältig bearbeitet, damit das Licht schmeichelte und die Wand nicht so trostlos wirkte. »Turmleben, aber make it aesthetic.«

Und dann natürlich der wichtigste Teil des Tages: Das Livestream-Update für ihre Follower. »Hey, meine süßen Lockenköpfe! Heute ein ganz besonderer Tag – ich zeige euch meine absolute Lieblingshaarroutine!« Lächeln. Enthusiasmus. Perfekte Beleuchtung. Natürlich hatte sie ihre Haare vorher schon gestylt. Keiner wollte den echten Prozess sehen – die Knoten, das Ziepen, den Moment, in dem sie fast ausrastete, weil eine Strähne sich nicht bändigen ließ. Nein, die Leute wollten Perfektion. Also gab sie ihnen Perfektion. »Oh mein Gott, dein Haar ist so wunderschön!« schrieb @FairyFan99. »Wie schaffst du es, dass es immer so glänzt?« fragte @RoyalStylist. »Sind das Extensions?« wollte @NoFilterNeeded wissen. Rapunzel seufzte. Die letzte Frage ignorierte sie. Niemand durfte wissen, dass selbst sie manchmal trickste. Es war verrückt – Millionen Menschen bewunderten ihr Leben, doch es fühlte sich an, als wäre sie in einer schlecht dekorierten Gefängniszelle eingesperrt.

Sie hatte alles: Ruhm, Sponsordeals, ein perfektes Image. Und trotzdem war ihr sterbenslangweilig. Jeden Tag das Gleiche. Fotos, Videos, Livestreams. Immer dieselben Posen, immer dasselbe Lächeln. Und das Beste? Sie konnte nicht einmal spontan irgendwohin gehen. Gothel sagte immer: »Exklusivität, mein Schatz! Dein Geheimnis ist deine Macht! Wenn dich die Leute überall sehen könnten, wärst du nichts Besonderes mehr.« Toll. Sie war also nichts weiter als ein seltenes Sammlerstück für die Massen. Rapunzel war es leid, perfekt zu sein. Sie wollte echte Erlebnisse, echte Menschen, echte… Freiheit. Aber Freiheit brachte keine Likes. Und Likes waren alles. Oder?

Der Algorithmus meines Lebens

Rapunzel saß auf ihrem perfekt gestylten Himmelbett, das niemand außer ihr je zu Gesicht bekam, und starrte auf die Analysen ihrer Social-Media-Accounts. Die Zahlen waren… mittelmäßig. Nicht schlecht, aber auch nicht atemberaubend. Und Mittelmaß war das Schlimmste, was einer Influencerin passieren konnte. Ihr letzter Post – ein ästhetisch inszeniertes Bild von ihr am Fenster mit dem Sonnenuntergang im Hintergrund – hatte nicht die erhoffte Reichweite erzielt. Der Algorithmus strafte sie mal wieder ab. Zu wenig Interaktion in den ersten zehn Minuten, zu wenig Shares, zu wenig Emotion. »Hast du etwa vergessen, im ersten Kommentar einen Call-to-Action zu schreiben?« Gothel hatte ihr vorhin eine Sprachnachricht geschickt, und Rapunzel hörte sie sich nun mit zusammengebissenen Zähnen an. »Liebes, Engagement ist der Schlüssel! Niemand liked einfach nur ein Bild! Du musst sie dazu bringen, zu kommentieren. Stell Fragen, provoziere, sei ein bisschen kontrovers! Und wo bleibt dein neuer Reel-Content? Die Leute wollen Bewegung, Schnelligkeit! TikTok regiert das Game, und du machst immer noch Standbilder? Komm schon, Rapunzel, du bist besser als das!« Rapunzel verdrehte die Augen. Sie hatte keine Lust, ihren Followern mal wieder eine künstliche Frage zu stellen wie: »Welches Haaröl benutzt ihr?« oder »Welches Emoji beschreibt eure Stimmung heute?« Das Problem war: Es funktionierte. Es war fast unheimlich, wie sehr der Algorithmus ihr Leben bestimmte. Poste zu spät? Pech gehabt. Falsches Hashtag? Schon bist du unsichtbar. Zu wenig Kommentare? Ab in die digitale Bedeutungslosigkeit. Rapunzel wusste, dass sie im Grunde nicht für ihre Fans postete – sondern für den Algorithmus. Er war der wahre König dieser Welt. Unsichtbar, unberechenbar, erbarmungslos. Gothel hatte es einmal sehr deutlich formuliert: »Vergiss Romantik, vergiss Talent, vergiss, was du denkst, was die Leute wollen. Es zählt nur eines: Wie oft wirst du den Leuten in den Feed gespült? Wie oft werden sie dazu gebracht, auf dich zu klicken? Der Algorithmus ist dein Gott. Verehre ihn oder geh unter.« Es war beängstigend, wie recht sie hatte. Content oder Existenzkrise? Rapunzel starrte auf ihren Bildschirm. Was sollte sie als Nächstes posten? Ein weiteres Beauty-Tutorial? Zu langweilig.

Ein Q&A? Zu vorhersehbar.

Ein kleiner Skandal? Hm. Vielleicht. Sie hatte mal gehört, dass ein bisschen Drama gut für die Reichweite war. Die Leute liebten es, sich über Dinge aufzuregen. Aber worüber? Vielleicht sollte sie ein emotionales Video drehen. Irgendwas mit Tränen. »Ich habe eine große Entscheidung getroffen…« oder »Ich muss euch etwas sagen…« Der Klassiker. Sie stellte sich vor, wie sie dramatisch in die Kamera sah, mit leicht verwischtem Mascara, und flüsterte: »Leute… ich bin so lange stark geblieben… aber ich kann das nicht mehr.« Natürlich ohne zu sagen, was genau sie nicht mehr konnte. Spannung musste sein. Und dann würde sie in den Kommentaren nachlesen, wie wild die Spekulationen waren. Aber war das wirklich der Weg, den sie gehen wollte? Sie seufzte und ließ sich nach hinten auf das Bett fallen.

Irgendwo da draußen lebten Menschen ihr Leben ohne darüber nachzudenken, ob ihre Existenz von einem Algorithmus abhängt. Sie gingen einfach raus, trafen Leute, lachten, ohne dabei ein Mikrofon in der Hand zu haben. Wie wäre es, wenn sie einfach mal nichts postete? Nur für einen Tag.

Ein Experiment. Ein Test. Rapunzel griff nach ihrem Handy, öffnete Instagram… und legte es dann wieder weg. Für heute würde der Algorithmus ohne sie auskommen müssen.

Hashtag: Gefangen!

Rapunzel lag auf ihrem samtbezogenen Sofa, das perfekt ins ästhetische Farbschema ihres Turmzimmers passte, und starrte an die Decke. Draußen schien die Sonne, die Vögel zwitscherten, das Königreich lebte sein Leben – und sie war hier. Wieder mal.

Sie seufzte und griff nach ihrem Handy. WLAN? Check.

Likes? Weniger als erwartet.

Mentale Stabilität? Fragwürdig. Sie scrollte durch ihren Feed. Andere Influencer reisten durch die Welt, aßen in hippen Cafés, machten Fotos in schicken Städten oder exotischen Stränden. Und sie? Sie postete zum hundertsten Mal ein Selfie am selben verdammten Turmfenster. Hashtag #Turmleben. Hashtag #AestheticIsolation. Hashtag #BitteHoltMichHierRaus. Sie wusste nicht mal mehr, ob sie das sarkastisch meinte oder nicht. Ein goldener Käfig mit guter Beleuchtung Es war ja nicht so, dass ihr Leben schlecht war. Ganz im Gegenteil. Sie hatte alles, was man sich wünschen konnte – eine riesige Followerschaft, Luxusprodukte, jeden erdenklichen Beauty-Artikel, den neuesten Technikkram, perfekte Beleuchtung für ihre Livestreams. Aber sie durfte nicht raus. »Rapunzel, meine Liebe«, hatte Gothel ihr immer wieder erklärt, »dein Zauber liegt in deiner Exklusivität. Sobald du dich unters Volk mischst, bist du nichts Besonderes mehr. Deine Mystik macht dich zur Legende.« Legende? Sie fühlte sich eher wie ein dekoratives Möbelstück. Manchmal fragte sie sich, ob ihre Fans überhaupt glaubten, dass sie echt war. Theoretisch könnte sie auch ein hochkomplexes KI-Modell sein, eine virtuelle Persona, erschaffen für maximale Klicks. Und irgendwie hatte sie das Gefühl, dass es keinen Unterschied machen würde. Solange die Inhalte stimmten, war den Leuten egal, ob hinter dem Bildschirm ein echter Mensch saß oder ein Marketing-Team mit zu viel Koffein. Rapunzel stand auf und lief im Zimmer auf und ab. Es musste doch eine Möglichkeit geben, hier rauszukommen. Die Tür? Natürlich abgeschlossen.

Das Fenster? Viel zu hoch.

Der berühmte Haartrick? Vergiss es. Sie hatte es mal ausprobiert, als Gothel nicht da war. Fazit: Ein Knoten im Nacken, fast abgestürzt, absolut untauglich. Sie hatte schon überlegt, einen viralen Hilferuf zu starten. Ein TikTok mit der Caption: »300k Likes und ich breche aus!« Aber sie kannte Gothel. Die Frau war nicht dumm. Sie würde es sofort löschen, bevor es abging. Also blieb sie gefangen – nicht nur im Turm, sondern im System. #FreePunzel oder doch lieber viral? Rapunzel öffnete ihre Nachrichten. Tausende Follower schrieben ihr täglich, aber eine Nachricht blieb an ihr hängen: @RealWorldRobin: ›Bist du eigentlich wirklich frei?‹ Rapunzel stockte. Das war nicht die übliche Fan-Nachricht. Kein Kompliment, keine Frage nach ihrer Haarroutine, kein verzweifeltes »Bitte notice me«. Nur diese eine Frage. Sie tippte eine Antwort, löschte sie wieder. Was sollte sie sagen? Natürlich war sie frei. Technisch gesehen. Sie konnte tun, was sie wollte – solange es ins Konzept passte. Und genau da lag das Problem. Sie seufzte und starrte wieder aus dem Fenster. Hashtag #Gefangen. Hashtag #AberImmerhinMitGuterBeleuchtung.

Sponsordeals und Spinnweben

Rapunzel saß an ihrem vergoldeten Schminktisch, der mehr Kosmetikprodukte beherbergte als ein durchschnittlicher Beauty-Store, und ließ ihren Blick über die glänzenden Verpackungen schweifen. Jede einzelne Flasche, jede Creme, jedes Serum war mit einem hübschen kleinen PR-Paket in ihr Leben gekommen – immer begleitet von der freundlichen, aber bestimmten Stimme Gothels: »Liebes, unser neuer Partner erwartet ein bisschen mehr Begeisterung. Sei authentisch, aber nicht zu authentisch, ja?« Authentisch. Ha. Rapunzel nahm eine teure Glasflasche vom Tisch und drehte sie nachdenklich in der Hand. Irgendein Luxus-Haaröl, angeblich mit »echtem Einhorn-Tränen-Extrakt«. Sicher. Sie erinnerte sich an den Dreh für das dazugehörige Sponsoring-Video. Drei Stunden perfektes Lichtsetup, fünfzig Takes für einen simplen Satz – »Dieses Produkt hat mein Haar gerettet!« – und am Ende sah das Video aus, als hätte sie sich gerade frisch aus einem Märchenbuch teleportiert. »Perfekt«, hatte Gothel gesagt. »Verkauft sich wie warme Semmeln.« Rapunzel scrollte durch ihre Inbox. Eine neue Anfrage: »Liebe Rapunzel, wir würden uns freuen, dich als Gesicht unserer neuen Seidenkissen-Kollektion zu gewinnen. Dein Haar ist der Inbegriff von Schönheit und Eleganz – und mit unseren Kissen bleibt es das auch über Nacht!« Sie seufzte. Noch ein Deal. Noch ein Produkt, das sie nie benutzt hatte, aber in die Kamera halten sollte, als wäre es ihr Lebensretter. Nicht, dass es schlecht bezahlt wäre. Ganz im Gegenteil. Sie konnte sich mittlerweile wahrscheinlich eine eigene Burg kaufen – mit funktionierender Tür, wohlgemerkt. Aber wofür? Sie durfte den Turm ja eh nicht verlassen. Sie sah zu den dicken Spinnweben in der Ecke ihres Zimmers. Die Ironie war kaum zu übersehen: Hier saß sie, perfekt gestylt, von Luxusmarken umgeben, in einem Raum, der aussah, als wäre er seit hundert Jahren nicht betreten worden.

Vielleicht sollte sie das als neuen Trend verkaufen: »Vintage Tower Chic«. Ein Deal mit Haken Sie stand auf und trat ans Fenster. Weit unten, am Rand des Waldes, konnte sie eine Gruppe junger Leute lachen hören. Echte Menschen, keine perfekt inszenierten Figuren auf einem Bildschirm. Ein Gedanke schlich sich in ihren Kopf. Was, wenn sie einfach… absagte? Was, wenn sie den Seidenkissen-Deal ablehnte? Was, wenn sie ein Statement postete? Etwas Echtes? »Hey Leute, kleines Update: Ich habe keine Lust mehr, euch Scheiße zu verkaufen. Mein Haar sieht so aus, weil ich drei Stylisten habe und einen Vertrag mit einer Hexe, nicht wegen irgendeinem Kissen.« Rapunzel grinste. Sie stellte sich vor, wie Gothel einen Herzinfarkt bekam. Natürlich würde sie es nicht tun. Noch nicht.

Aber irgendwann. Hashtag #NichtGekauft. Hashtag #EchtesLebenWann.

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