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FOUL 001

FOUL 001

Nach elf Jahren, in denen sie immer wieder denselben Parfümladen besuchten – er bei den Herrenparfüms, sie bei den Damenparfüms –, kam es zu einer unerwarteten Begegnung. Als ihr Handy in ihrer Tasche klingelte, griff sie danach und stellte fest, dass ihre Mutter sich wieder einmal gemeldet hatte.

„Hallo Mama.“

„Hallo, meine Kleine. Wie geht es dir? Und wie läuft es bei der Arbeit?“

„Alles in Ordnung. Und bei dir und Papa?“

„Uns geht es gut. Kommst du uns besuchen? Dein Vater und ich haben heute wieder deine Tante mit ihrem Sohn eingeladen!“

Sie seufzte leise und antwortete widerwillig: „Oh nein, Mama, nicht heute… Ich habe mit Sara geplant, heute Abend auf ein Konzert zu gehen.“

In diesem Moment wandte sich Baraa ihr zu, seine hellblauen Augen voller Verwunderung. Ging sie etwa auf dasselbe Konzert wie er? Für einen kurzen Moment trafen sich ihre Blicke und hielten inne. Er wollte wegsehen, doch irgendetwas hielt ihn davon ab. Dennoch setzte sie ihr Gespräch mit ihrer Mutter fort, als wäre nichts geschehen.

Baraa stand ruhig und gefasst, wie immer. Seine türkisfarbenen Augen reflektierten einen tiefen Fokus, während sein Gesicht keinerlei Emotionen preisgab. Seine Haltung war weder unsicher noch gespannt – vielmehr strahlte sie eine stille Selbstsicherheit aus, als versuche er, diesen zufälligen Blickkontakt zu deuten, ohne zu viel davon preiszugeben.

—•—•—•—•—•—

An diesem Abend saß Sara wie gewohnt in jenem ruhigen Park, wo nur wenige Menschen vorbeigingen. Die Stille wurde lediglich von einer sanften Brise durchbrochen, die die Natur umarmte und dem Moment eine friedliche Atmosphäre verlieh. Sie hielt ihre warme Kaffeetasse zwischen den Händen und genoss endlich den Geschmack, dem sie seit Jahren verfallen war – ein Genuss, der längst zur Sucht geworden war. Nach acht Stunden harter Arbeit fühlte es sich an, als berühre der erste Schluck nicht nur ihre Lippen, sondern auch ihre Seele. Die Uhr zeigte sechs Uhr abends, als plötzlich Miranda vor ihr erschien, ihre Tasche neben sich stellte und sich mit einem Lächeln setzte:

„Na, wie geht es dir? Trinkst du schon wieder Kaffee? Hast du nicht gesagt, du würdest damit aufhören? Was ist passiert?“

Sara lächelte leicht, als hätte sie bereits geahnt, dass Miranda das kommentieren würde, und antwortete:

„Ich glaube nicht, dass ich es tun werde! Heute war ein anstrengender Tag… Aber erzähl mir, wie war dein Tag?“

Miranda seufzte kurz und schien ihre Gedanken zu ordnen, bevor sie mit Erstaunen sagte:

„Oh, ich weiß nicht… Ich kann dir nichts erzählen, außer dass ich heute im Parfümladen war. Du wirst nicht glauben, wen ich dort gesehen habe!“

Saras Augen weiteten sich vor Neugier:

„Oh, wirklich? Wen hast du getroffen?“

Miranda sagte voller Begeisterung:

„Einen Mann, der genauso aussieht wie Baraa! Ich kann es nicht fassen! Ich hätte nie gedacht, dass er mir noch so lebendig im Gedächtnis geblieben ist, aber als ich ihn sah, war ich völlig sprachlos!“

Sara lachte sanft und neckte sie:

„Es ist wirklich lange her, dass wir von Baraa gesprochen haben! Wäre er es wirklich gewesen, wärst du ihm sicher vor Freude in die Arme gesprungen.“

Mirandas Augen leuchteten vor Aufregung, bevor sie plötzlich ausrief:

„Erinnerst du dich an Devin?“ Dann lachte sie und fügte hinzu: „Du hast ihn ewig nicht mehr erwähnt!“

In diesem Moment stach es für einen Augenblick in Saras Herz – eine plötzliche Erinnerung, die sie längst zu vergessen glaubte. Sie hatte ihrer besten Freundin nie erzählt, wie sehr ihr Herz damals zerbrochen war, wie es ihr buchstäblich aus der Brust gerissen wurde. Doch wie immer ließ sie sich nichts anmerken. Stattdessen sah sie Miranda an, lächelte ruhig und sagte mit sanfter Stimme:

„Oh, der? Ich habe ihn völlig vergessen…

Liebe bedeutet mir nichts mehr.“

FOUL 002

Miranda schwieg, denn sie spürte, dass sie etwas Unpassendes gesagt hatte. Sie lächelte leicht und ließ ihren Blick über die vorbeigehenden Menschen schweifen.

Nach einer Viertelstunde beschlossen sie, nach Hause zurückzukehren. Sie wohnten seit Beginn ihres Studiums zusammen. Während Miranda duschen ging, stand Sara vor dem Bügelbrett und glättete sorgfältig ihren weißen Hijab. Als sie fertig war, trug sie eine leichte Puderfoundation auf, befeuchtete ihre Lippen mit einem sanften Lippenbalsam und tuschte vorsichtig die Spitzen ihrer Wimpern mit Mascara.

Eine halbe Stunde später kam Miranda aus dem Badezimmer. Sie hatte ihr Haar geföhnt und es zu einem eleganten französischen Zopf geflochten. Ihr Make-up war dezent, doch ihre Nägel glänzten in einem satten Rot. Sie schlüpfte in einen schwarzen Hosenanzug, der ihr das elegante Auftreten einer erfolgreichen Geschäftsfrau verlieh, und kombinierte ihn mit glänzenden schwarzen High Heels.

Plötzlich fragte Sara erstaunt: „Wow, für wen all das?“

Miranda drehte sich mit einem schelmischen Lächeln um und antwortete: „Für meinen Liebsten!“

Sara lachte spöttisch: „Den imaginären?“

Miranda warf ihr einen kurzen Seitenblick zu und sagte gespielt beleidigt: „Hah, das war nicht nett.“

„Hahahaha!“

...—•—•—•—•—•—•—...

Auf dem Konzert versammelte sich eine große Menge von Menschen, alle gekleidet in elegante, teure Outfits. Als Miranda und Sara eintraten, waren sie in ein lebhaftes Gespräch vertieft – es ging um den betrunkenen Mann, der seit einiger Zeit neben ihrem Haus schlief. Die Situation wurde allmählich seltsam.

„Ich habe sein Gesicht noch nie richtig gesehen“, sagte Sara besorgt. „Ich fürchte, er könnte uns bestehlen oder uns etwas antun.“

Doch Miranda entgegnete mit voller Überzeugung und einem Hauch von Begeisterung: „Mach dir kein Kopf!“

Miranda und Sara nahmen Plätze in der ersten Reihe ein, als das Konzert begann. Die diesjährige Aufführung war eine der schönsten Kompositionen, doch Sara war von Anfang an in Gedanken versunken. Miranda bemerkte es sofort und entschied, dass sie nach dem ersten Musikstück gehen sollten.

Als sie die große, mit Menschen gefüllte Halle verließen, führte Miranda die abwesende Sara nach draußen, die sich seit ihrer Ankunft unwohl fühlte. Plötzlich stieß Mirandas Arm gegen den eines Mannes. Instinktiv hob sie ihren Blick, bereit, ihn zurechtzuweisen – doch in diesem Moment verlor sie sich in den tiefen Ozean einer längst vergangenen Liebe. Feine, unsichtbare rote Fäden schienen sie zu ihm zu ziehen. Es war das Gesicht, das ihre Erinnerungen seit den Schultagen nicht verlassen hatte.

Der Mann erkannte sie ebenfalls – sie war dieselbe Frau, die er im Parfümladen gesehen hatte. Er lächelte kurz und setzte seinen Weg fort. Als Miranda sich wieder Sara zuwandte, bemerkte sie, wie diese mit einem schelmischen Lächeln zwinkerte. Ein zartes Rot stieg Miranda in die Wangen, doch sie sagte nichts und ging mit ihr weiter zum Auto.

...—•—•—•—•—•—•—...

In der Konzerthalle standen die beiden Männer beisammen. Emin fragte neugierig:

„Baraa, kennst du diese Frau?“

Baraa antwortete ruhig: „Nicht wirklich. Bevor ich zu dir kam, war ich im Parfümladen und habe sie dort zufällig gesehen, mehr nicht.“

Emin grinste und entgegnete spielerisch: „Komm schon, sei nicht so schüchtern! Und was war dann dieser lange Blickkontakt zwischen euch?“

Baraa wich seinem Blick aus und murmelte kaum hörbar: „Ich weiß nicht…“ Dann fügte er schnell hinzu: „Lass uns gehen.“

FOUL 003

An diesem Samstagmorgen im Mai zwitscherten die Liebesvögel im Haus von Miranda und Sara lautstark, als würden sie darüber streiten, wer die schönere Stimme habe. Sara hatte Kopfschmerzen und hielt sich den Kopf, bis Miranda ihr eine Tasse Kaffee vor die Nase stellte.

„Guten Appetit! Wie wäre es mit etwas Sport? Das wird deinen Geist erfrischen und dich auf andere Gedanken bringen.“

Sara zog die Tasse zu sich heran und seufzte: „Ich habe absolut keine Energie für irgendetwas. Ich konnte die ganze Nacht nicht schlafen, ich habe viel nachgedacht.“

„Warum hast du nicht deine Schlaftabletten genommen?“ fragte Miranda besorgt.

„Ich will mich nicht daran gewöhnen.“

Miranda zuckte mit den Schultern und sagte beruhigend: „Schon gut, ruh dich heute einfach aus.“

...—•—•—•—•—•—•—...

In Friedrichshain bereitete Devin in seiner Wohnung das Frühstück zu – ein Teller mit halbgebratenen Spiegeleiern und ein Glas frische Milch. Seine Bewegungen waren schnell und routiniert, doch in ihnen lag eine gewisse Eleganz. Wäre jemand da, mit dem er sich den Morgen teilen könnte, hätte die Szene vielleicht etwas Vertrautes und Wärmendes an sich. Doch allein zu leben war eintönig – und manchmal schlichtweg langweilig.

Nach dem Frühstück ging Devin duschen. Sein Körper war durchtrainiert, seine Bauchmuskeln deutlich definiert. Mit einer mühelosen Bewegung wickelte er das Handtuch um seine Hüften. Vor dem Spiegel begann er, sein nasses Haar zu trocknen, bevor er sich erschöpft auf das Bett fallen ließ.

Der gestrige Tag war anstrengend gewesen. Als Polizist musste er ständig Akten bearbeiten und auf plötzliche Einsätze vorbereitet sein. Doch lange konnte er nicht liegen bleiben. Er stand wieder auf, ging zu seinem Kleiderschrank und zog sich Sportkleidung an. Er setzte eine Kappe auf, band seine Schuhe und griff schließlich nach seinem Handy.

63 Nachrichten.

3 von seinem besten Freund,

20 von Instagram,

1 vom Richter,

und 39 von Spielen, die er seit einer Ewigkeit nicht mehr geöffnet hatte.

Er steckte das Handy in seine Tasche und trat hinaus, bereit für seinen morgendlichen Lauf.

Nach einer Stunde Joggen entschied Devin, in einen kleinen Lotto-Laden einzutreten. Er kaufte eine kalte Flasche Wasser, nahm einen tiefen Schluck und machte sich dann auf den Weg zu dem Park, den er und sein Freund immer für ihre Fallbesprechungen nutzten.

Er zog sein Handy heraus und öffnete eine der Apps, die er immer benutzte, um mit einer Frau zu schreiben – einer Frau, die ihn seit Kurzem fasziniert hatte. Er öffnete den Chat, doch es gab keine neue Nachricht von ihr. Seit drei Tagen hatte sie nicht geantwortet – seit seiner letzten Nachricht: „Guten Morgen!“

Er nahm es gelassen – es störte ihn nicht wirklich. Er war es gewohnt, nicht oft mit anderen zu schreiben. Devin war von Natur aus ruhig, zurückhaltend und auf seine eigene Weise einzigartig.

...—•—•—•—•—•—•—...

In der Villa der Familie Baraa lebte er zusammen mit seinen Geschwistern, seinen Eltern und seiner Tante, die vor einiger Zeit geschieden worden war. Ihr Ehemann hatte herausgefunden, dass sie all die Jahre heimlich ihre Schwangerschaften abgebrochen hatte – aus Angst vor Hautveränderungen und dem Verlust ihrer Schönheit. Sie wollte einzig und allein für ihren Mann attraktiv bleiben. Doch als er die Wahrheit erfuhr, sprach er ohne Zögern das Scheidungswort aus und verließ sie.

Baraa war das drittälteste Kind der Familie Al-, die aus insgesamt sechs Mitgliedern bestand. Er bewohnte das Dachzimmer der Villa – den größten, schönsten und komfortabelsten Raum des Hauses.

Obwohl sein Glaube den Konsum von Alkohol verbot, trank Baraa gelegentlich – manchmal sogar exzessiv. Einmal hatte er sechs Flaschen hintereinander geleert, getrieben von der ständigen Anspannung durch die Konflikte seiner Eltern.

Sein Zimmer war oft erfüllt von einem stechenden Geruch aus Schweiß und Alkohol, die Luft schwer und erdrückend. Unordnung beherrschte den Raum, und nur wenn seine Schwestern eintraten, um aufzuräumen, kehrte für kurze Zeit etwas Ordnung ein.

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