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Der Sohn Des MUSCHELHÄNDLERS

S1 Episode 1

Henry kämpfte gegen die einschläfernde Monotonie der Henryde rat- ternden Räder an. Er mußte wach bleiben. Die nächste Bahn- station in einer Stadt namens Beaumont konnte nicht mehr weit sein. Bremser und Streckenwärter der Southern Pacific würden, bewaffnet mit Eisenketten und Schlagstöcken, den Güterzug nach Hobos wie ihn absuchen. Vor der offenen Schiebetür des Güterwaggons zogen hinter einem dichten Regenschleier die weiten, sanft gewellten Ebenen von Süd- osttexas vorbei. Die schwarzen Wolken hatten die Märzsonne ver- schluckt, und der Mittag schien unmittelbar in das Dämmerlicht des frühen Abends überzugehen. Henry saß an die Holzwand des nach Viehfutter stinkenden Boxcar gelehnt. Immer wieder sackte ihm der Kopf auf die Brust. Ein dumpfer Schlag holte ihn plötzlich aus seinem Halbschlaf. Er riß die Augen auf und sah einen schmutzigen Jutesack über den Boden schlittern, worauf sich zwei abgerissene Gestalten mit dem oft geüb- ten Schwung erfahrener Hobos aus dem Laufen heraus zu ihm in den Güterwaggon schwangen. Der eine der beiden Männer hatte ein spitzes Gesicht, das Henry unwillkürlich an eine Ratte denken ließ. Der andere erinnerte ihn mit seiner bulligen Statur und dem massigen Schädel an einen bösartigen Stier. Henry sah den beiden sofort an, daß er mit ihnen Ärger bekommen würde. Gewöhnlich hielten Hobos zusammen. Aber es gab auch ge- nügend Gesindel unter ihnen. Vorsichtshalber erhob er sich, um nach seinem Bündel zu greifen, das seine wenigen Habseligkeiten enthielt: eine alte Pferdedecke, vier rohe Kartoffeln, einen Kanten Brot und ein Stück Hartwurst. Rattengesicht kam ihm jedoch zuvor und stieß mit einem Fußtritt das Bündel ans andere Ende des Waggons. >He, was soll das?<« protestierte Henry. »Je weniger Ballast, desto leichter reist es sich«, sagte Rattengesicht hämisch. Stiernacken griff zu einem Knüppel aus hartem Hickoryholz, der ihm an einer ledernen Schlaufe über der rechten Schulter hing Verdrück dich, Pisser! Mach 'n Absprung! Das is' jetzt unser Box car! Dann schwang er den Knüppel mit einer Schnelligkeit, die man von einem so gedrungenen Kerl auf den ersten Blick nicht erwartet hätte. Der Hickoryprügel traf Henry am rechten Ober- schenkel. Mit einem Aufschrei ging er in die Knie, weil er plötzlich keine Kraft mehr in dem Bein hatte. >>Wenn du bei drei nicht draußen bist, prügel' ich dich raus!« drohte Stiernacken. »Eins.... Henry biß die Zähne zusammen, rappelte sich hoch und wankte zur offenen Tür. Der Zug ratterte mit mäßiger Geschwindigkeit durch eine langezogene Linkskurve. Verzweifelt hielt Henry Ausschau nach einer günstigen Stelle zum Absprung. Ackerland lag entlang des Schienenstranges. Wenigstens würde die gepflügte Erde nach dem stundenlangen Regen nicht mehr so hart sein. >>Kauf dir das nächste Mal 'n Zugticket, wenn dir diese Art des Aussteigens nicht gefällt!<< Ein wuchtiger Stiefeltritt schleuderte Henry aus dem Güterwaggon. Himmel und Erde drehten sich um ihn. Er hörte Gelächter und sah den Güterzug für einen flüchtigen Moment auf dem Kopf fahren, als würden die Schienen am Himmel kleben. Dann brach er durch eine Hecke, die ihm Gesicht und Hände zerkratzte, während er sich selbst schreien hörte. Hinter der Hecke prallte er auf die Erde, wirbelte mehrmals um seine eigene Achse und blieb benommen am Rand eines Ackers liegen. Stöhnend richtete er sich auf und spuckte Erde aus. Seine Glieder schmerzten, doch er hatte sich offensichtlich nichts gebrochen. Seine Hand tastete in einem Reflex nach der dünnen Lederschnur, die er um den Hals trug, und suchte den Anhänger, eine kunstvoll geschnitzte fächerförmige Muschel aus Elfenbein, flach wie ein Streichholz und nicht viel größer als eine Halbdollarmünze. Gott sei Dank, sein Talisman war noch da! Henry sah dem Zug nach und erinnerte sich plötzlich, daß dies der Tag seines Geburtstags war. Kein schlechtes Geschenk, noch einmal heil davongekommen zu sein.

S1 Episode 2

Es regnete noch immer, als er eine gute Stunde später in einem Waldstück auf eine merkwürdige Landstraße stieß. Sie sah zunächst wie ein breiter Bretterweg aus, dann stellte er jedoch fest, daß sie aus der Länge nach halbierten, etwa zwanzig Fuß langen Baumstämmen bestand, deren halbrunde Seiten nach oben zeigten. Eine Straße wie ein gigantisches Waschbrett! er x- ie ht er- ch Henry blieb stehen und gönnte sich eine Pause. Sein Blick folgte dieser seltsamen Landstraße. Sie verschwand in einer Biegung, etwa hundert Yard von den Bahnschienen entfernt, rechter Hand im Wald. Welchem besonderen Zweck sie wohl dienen mochte, und wohin sie bloß führte? te cur ch Einer momentanen Eingebung folgend, gab er sein Vorhaben auf, den Schienen bis nach Beaumont zu folgen und dort beim nächsten abfahrenden Güterzug sein Glück zu versuchen. Er beschloß heraus- zufinden, was es mit dieser hölzernen Waschbrettstraße auf sich hatte. au ng ch Henry kam zur Biegung. Die Straße aus Baumstämmen erklomm hinter der Kurve eine kleine Anhöhe. Auf halbem Weg zur Kuppe stand ein Fuhrwerk, von einem Sechsergespann gezogen und schwer mit Balken beladen. In gefährlicher Schieflage hing es am rechten Straßenrand. Bei genauerem Hinsehen sah Henry, daß das Fuhr- werk mit seinen rechten Rädern von der sicheren Straße abgekom- men war und mehr im Schlamm saß, als daß es noch auf festem Untergrund stand. Der Kutscher hatte alle Mühe, die Pferde unter Kontrolle zu halten. Ein einziger heftiger Ruck der sechs Tiere hätte gereicht, um das schiefhängende Gefährt ganz auf die Seite zu werfen und die Ladung Balken in den Dreck zu kippen. des on. sah ren, arch sich rde, am eder chen. Auf der Längsseite des Wagens las Henry den ohne große Sorgfalt hingepinselten weißen Schriftzug ARTHUR BRODERICK - RIG BUIL- DER-SPINDLETOP. nur, stvoll e ein Der Kutscher war etwa Mitte bis Ende vierzig und von untersetzter, stämmiger Gestalt. Rotblondes, lichtes Haar klebte regennaß an seinem Kopf. Rotblond waren auch seine buschigen Augenbrauen und die breiten, lang heruntergezogenen Koteletten, die sein kanti- ges Gesicht einfaßten. Sein dichter Walroßbart, unter dem nicht nur seine Oberlippe völlig verschwand, sondern auch noch ein gut Teil seiner Unterlippe, war von dunklerer Tönung und kräuselte sich wie feiner Kupferdraht. >Gott sei Dank!< rief der Fremde, als er Henry bemerkte. »Endlich jemand, der mir aus dieser vermaledeiten Klemme helfen kann!< "Wüßte nicht, wie ich Ihnen helfen könnte, Mister<«, erwiderte Henry zurückhaltend. Mit Fremden hatte er an diesem Tag keine guten Erfahrungen gemacht. Mein Name ist Broderick, Arthur Broderick!<< Der Mann deutete auf den Schriftzug. »Falls du lesen kannst, da steht es.< Henry zuckte mit den Achseln. »Ja, aus Spindletop.<« Dieser Brode- rick sollte bloß nicht glauben, es mit einem Analphabeten zu tun zu haben. >>Du siehst kräftig genug aus, um mir zu helfen, mein Junge.<< >>Ich bin nicht Ihr Junge, Mister Broderick.<< Seit er sich vor zwei Jahren aus Onkel Jeffreys Tyrannei und Geiz befreit hatte, war er niemandes Junge mehr. Die Augen unter den buschigen Brauen funkelten amüsiert. »Nein? So, wie alt bist du denn?<<< >>Bald zwanzig.<< >>Wirklich? Na, du siehst aber nicht viel älter als achtzehneinhalb aus.<< Henry verkniff sich ein Grinsen der Genugtuung, war er doch an diesem Tag gerade erst siebzehn geworden. >>Wie heißt du denn?<< Henry zögerte kurz und hob dann die Schultern. »Henry, Henry Maynard.<< Arthur Broderick nickte. »Also hör zu, Henry Maynard. Du hilfst mir, den Karren buchstäblich aus dem Dreck zu ziehen, was dich kaum länger als eine halbe Stunde aufhalten wird, und ich gebe dir einen halben Dollar. Ist das ein faires Angebot?<< Henry glaubte, sich verhört zu haben. Einen halben Dollar? Un- möglich! Entweder wollte ihn dieser Arthur Broderick auf den Arm nehmen, oder er hatte sie nicht mehr alle beisammen. Er wußte nur zu gut, was für Handlangerdienste gezahlt wurde. Zwei Cent hatte er für jeden Eimer Pferdemist bekommen, den er jahrelang nach der Schule in den Straßen der East Side von New York aufgesammelt hatte, ehe er als Dünger verkauft wurde. Täglich fünf Stunden Flaschen auswaschen hatte später bei einem großzügigen Drugstore- Besitzer gerade mal sechzig Cent pro Woche gebracht, was freilich noch besser gewesen war als die fünfzig Cent Wochenlohn in der. »Endlich kann! Zigarettenfabrik, in die ihn sein Onkel auf Dauer hatte stecken, besser gesagt, hatte prügeln wollen. erwiderte Tag keine >>Einen halben Dollar?« Henry lachte spöttisch auf und schüttelte aus Unglauben den Kopf. Arthur Broderick deutete diese Reaktion als Ablehnung. »Bist wohl ein ganz cleverer Boomer, was?« grollte er. an deutete Henry wußte nicht, was ein Boomer war, und das Verhalten des Mannes kam ihm immer befremdlicher vor. »Ich habe nichts da- gegen, Ihnen zu helfen, Mister«, sagte er forsch, denn er wollte die Sache so schnell wie möglich hinter sich bringen. Und wenn er einen Nickel von diesem merkwürdigen Kauz bekam, konnte er mehr als zufrieden sein. Doch den wollte er sich vorher geben lassen, und deshalb sagte er: »Aber wenn ich Ihnen zur Hand gehen soll, dann will ich mindestens...« er Brode- zu tun zu ge.< vor zwei ce, war er t. »Nein? Arthur Broderick winkte sichtlich genervt ab und ließ ihn erst gar nicht ausreden. Denn er meinte zu wissen, welche Forderung Henry an ihn zu stellen gedachte. »Ich habe keine Zeit für Gefeilsche, und das weißt du so gut wie ich. Ein Dollar, das ist mein letztes Angebot. Erpressen lasse ich mich nicht. Wenn dir auch das zu wenig ist, kannst du dich zum Teufel scheren!<< neinhalb doch an Henry sah ihn verdattert an. Der Mann meinte es ernst. Es war zwar unverständlich, aber er bot ihm tatsächlich mehr als einen vollen Wochenlohn für weniger als eine Stunde Arbeit! , Henry >>Was ist nun?« fragte Arthur Broderick ungeduldig. »Bist du einver- standen oder nicht?<< Du hilfst Henry nickte. Aber wer garantiert mir, daß Sie hinterher auch zu Ihrem Wort stehen?<< vas dich gebe dir Arthur Broderick seufzte. »Henry Maynard, du mußt neu in Spindletop sein. Denn sonst wüßtest du, daß Arthur Broderick seinen guten Ruf nicht wegen eines lumpigen Dollars aufs Spiel setzt<«, erklärte er mit Stolz und einigem Pathos, griff in die Tasche seines Overalls und schnippte Henry eine Münze zu. »Ob hundert ich stehe zu meinem Wort.<< ar? Un- en Arm ßte nur nt hatte oder ein Dollar, Henry fing die Münze auf. Es war ein Silberdollar. Fassungslos starrte er auf das Geldstück und konnte sein Glück kaum fassen. Wenn er sehr sparsam war, konnte er davon fast zwei Wochen leben! >>Und jetzt laß sehen, ob auch du Wort hältst, und vor allem, ob du deinen Lohn wert bist!<<

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