»Manchmal ist der Feind deines Feindes einfach nur ein weiterer Feind«, dachte Claire, während sie den Mann beobachtete, der ihr gegenüber saß. Das Café war fast leer, bis auf eine Kellnerin, die gelangweilt eine Kaffeekanne in der Hand drehte, und einen Mann mit einem Zeitungshut, der am Fenster saß und so tat, als würde er lesen. Claire wusste, dass der Typ vermutlich nur hier war, um sie zu beobachten. „Du hast viel riskiert, um mich zu treffen“, sagte der Mann, der sich als James vorgestellt hatte, obwohl Claire nicht glaubte, dass das sein echter Name war. Sein Gesicht war schmal, von tiefen Falten durchzogen, die wie Flussläufe über sein müdes Gesicht zogen. Seine Augen waren dunkel und suchten ständig die Ecken des Raumes ab, als ob er erwartete, dass jemand jeden Moment auftauchen könnte. „Ich habe keine Wahl“, erwiderte Claire. „Ich glaube, ich bin in ernsthaften Schwierigkeiten.“ James lehnte sich zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. Sein Mantel war abgetragen, seine Hände rau, als hätte er eine Menge Dreck in seinem Leben angefasst. „Schwierigkeiten sind relativ. Erzähl mir, was du weißt.“ Claire zögerte. Seit zwei Tagen lebte sie in Angst. Die Schatten, die Drohungen, die Datei auf dem USB-Stick – all das fühlte sich an wie der Anfang eines Horrorfilms, der schlecht für sie enden würde. Und jetzt saß sie hier mit einem Mann, den sie nur aus einer kryptischen E-Mail kannte. „Ich habe eine Datei bekommen“, sagte sie schließlich. „Es nennt sich ‚The Red File‘. Es ist... Ich weiß nicht genau, was es ist, aber es enthält Namen, Daten, Fotos. Dinge, die mächtige Leute nicht wollen, dass jemand sieht.“ James nickte langsam, als hätte er erwartet, genau das zu hören. „Wie bist du daran gekommen?“ „Es wurde vor meiner Tür abgestellt. Keine Ahnung von wem.“ James schnaufte. „Du bist ein verdammter Magnet für Ärger, weißt du das?“ Claire verschränkte die Arme und sah ihn an. „Hör zu, ich brauche Antworten. Wer auch immer diese Leute sind, sie wissen, wo ich wohne. Sie haben mich angerufen. Sie haben mich gewarnt, dass sie mich holen, wenn ich die Datei nicht herausgebe.“ James beugte sich vor, seine Stimme senkte sich zu einem Flüstern. „Die Leute, von denen du sprichst, sind keine gewöhnlichen Kriminellen. Das ist eine Organisation, Claire. Mächtig, skrupellos. Sie operieren im Schatten, und sie sorgen dafür, dass alles, was im Licht auftaucht, dort wieder verschwindet. Das Red File ist ihre Achillesferse. Es enthält Beweise, die sie zerstören könnten.“ „Beweise wofür?“
James hielt inne, als würde er abwägen, wie viel er ihr sagen sollte. „Geldwäsche, Mord, politische Korruption. Sie arbeiten auf globaler Ebene. Regierungen, Konzerne, Militär – alle stecken irgendwie mit drin. Und du hast gerade den verdammten Schlüssel zu ihrem Untergang in der Hand.“ Claire spürte, wie sich ein kalter Schauer über ihren Rücken legte. „Warum habe ich es dann bekommen? Ich bin niemand. Ich schreibe über Food-Trucks und Verkehrsunfälle.“ James lachte trocken. „Vielleicht, weil niemand dich erwartet. Sie haben dich ausgewählt, weil du unsichtbar bist. Niemand achtet auf eine Journalistin, die auf der untersten Sprosse der Karriereleiter steht.“ „Großartig“, sagte Claire bitter. „Das macht mich also zur perfekten Zielscheibe.“ James griff nach seinem Kaffee, der längst kalt war, und nahm einen Schluck. „Sie werden nicht aufhören, Claire. Diese Leute haben mehr Ressourcen, als du dir vorstellen kannst. Und sie haben keine Skrupel.“ „Was soll ich tun?“ fragte sie, ihre Stimme leiser. Sie fühlte sich plötzlich klein, wie ein Kind, das nach einem Ausweg aus einem Albtraum sucht. „Du musst verschwinden“, sagte James. „Zumindest für eine Weile. Wenn sie glauben, dass du weg bist, verlieren sie vielleicht das Interesse.“ „Das ist keine Option“, erwiderte Claire. „Ich will Antworten. Und ich will, dass das hier aufhört.“ James starrte sie an, sein Blick war schwer und durchdringend. „Du verstehst nicht, wie tief das geht. Diese Leute kontrollieren alles. Wenn du versuchst, sie zu bekämpfen, wirst du verlieren.“ „Dann hilf mir“, sagte Claire und lehnte sich vor. „Du weißt mehr über sie als ich. Du kannst mir sagen, wer sie sind, was sie wollen.“ James zögerte, seine Augen wanderten wieder durch den Raum. Dann nickte er langsam. „In der Datei gibt es einen Namen. Wenn du diesen Namen findest, wirst du verstehen, mit wem du es zu tun hast.“ „Welchen Namen?“ James zog ein zerknittertes Blatt Papier aus seiner Manteltasche und schob es ihr über den Tisch. Darauf stand ein einziger Name: „Elias Mercer.“ „Wer ist das?“ fragte Claire. „Der Mann, der hinter allem steckt.“ James stand auf, zog seinen Mantel enger um sich. „Aber ich warne dich, Claire. Wenn du diesen Namen zu oft sagst, wirst du ihn nie wieder vergessen können. Und er wird dich auch nicht vergessen.“ Bevor sie antworten konnte, war James verschwunden. Claire starrte auf den Zettel in ihrer Hand.„Elias Mercer“, flüsterte sie. Der Name schmeckte nach Gefahr. Und nach Antworten.
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