»Alles hat seinen Preis.« Das war etwas, das Claires Großmutter immer gesagt hatte, wenn sie eine Entscheidung zu treffen hatte. »Ein Geheimnis zu erfahren ist wie einen Handel mit dem Teufel abzuschließen. Vielleicht bekommst du, was du willst, aber du bezahlst immer mehr, als du dachtest.«
Claire hatte das damals als weises, aber belangloses Geschwätz einer alten Frau abgetan. Heute dachte sie anders. Heute saß sie an ihrem Küchentisch, der Laptop vor ihr, und spürte, wie der Preis langsam aber sicher zu steigen begann. Der Bildschirm war dunkel, bis auf das pulsierende Symbol der Datei, die sie vor wenigen Minuten geöffnet hatte. „The Red File.“ Drei einfache Worte, die sich wie ein schwerer Stein auf ihre Brust legten. Neben ihr lag der Stapel Papiere, den sie aus dem Umschlag gezogen hatte, akkurat geordnet, als hätte jemand Stunden damit verbracht, sie vorzubereiten. Es war keine gewöhnliche Sammlung von Dokumenten. Die Liste der Namen, die kryptischen Anmerkungen, die Summen von Geldbeträgen – das alles war zu organisiert, zu methodisch, um etwas Zufälliges zu sein. Aber der USB-Stick war der wahre Albtraum. Sie klickte wieder auf das Symbol, ihr Zeigefinger zitterte leicht. Es öffnete sich eine neue Seite, eine Art Menü, das von einem roten Hintergrund umrahmt war. Namen, Daten und Symbole flackerten auf dem Bildschirm auf, verschwanden und erschienen wieder, wie ein Puzzle, das sich ständig neu ordnete. Und genau das war es: ein Puzzle. „Was zur Hölle...?“ murmelte sie, während sie auf den Bildschirm starrte. Die Daten waren unleserlich, verschlüsselt, in einem Code, den sie nicht einmal ansatzweise verstand. Zahlen, Buchstaben und Symbole schoben sich wie auf unsichtbaren Bahnen durch die Anzeige, formierten sich neu, nur um sich im nächsten Moment wieder aufzulösen.
»Warum sollte jemand so etwas machen?« sagte sie laut, mehr zu sich selbst als zu irgendjemandem. Ihre Katze, die sich auf das Sofa gekuschelt hatte, warf ihr einen schläfrigen Blick zu, als ob sie die gleiche Frage hatte. Claire griff nach ihrem Handy, öffnete den Browser und begann zu suchen: „Verschlüsselte Dateien, wie entschlüsseln?“
Die Antworten waren wenig hilfreich. Die meisten Artikel sprachen von komplizierten Algorithmen, von Programmen, die Tausende von Dollar kosteten, oder von Hackern, die ihre Dienste für einen noch höheren Preis anboten. Claire fühlte, wie sich ein Knoten in ihrem Magen bildete. „Das ist verrückt“, murmelte sie, während sie mit einer Hand durch ihr Haar fuhr. Ihre Finger zitterten immer noch, und ihr Mund war trocken. Dann fiel ihr Blick auf die letzte Seite des Papierstapels. Sie war anders als die anderen, nicht in Schwarz-Weiß, sondern in blassem Rot gedruckt. In der Mitte der Seite stand ein einzelnes Wort: „Schlüssel.“ Darunter eine Reihe von Zahlen und Buchstaben, die sich wie Koordinaten lasen:
37.7749° N, 122.4194° W „Koordinaten?“, flüsterte Claire und tippte sie schnell in ihr Handy. Die Antwort ließ sie beinahe den Atem anhalten. Es war San Francisco. Genauer gesagt, ein Viertel in der Nähe der Market Street. „Warum...?“ Sie lehnte sich zurück, starrte die Koordinaten an und spürte, wie sich ihr Verstand in tausend Richtungen drehte. San Francisco war tausende Kilometer entfernt. Es war nicht nur weit weg, sondern es hatte auch nichts mit ihrem Leben zu tun. Ein plötzlicher Gedanke schoss ihr durch den Kopf: War das hier eine Falle? Hatte jemand sie bewusst in diese Situation gebracht? Sie schaute wieder auf die Datei, die noch immer auf ihrem Laptop pulsierte, als lebte sie. Das Handy vibrierte plötzlich in ihrer Hand, und Claire hätte beinahe geschrien. Der Bildschirm leuchtete auf: Unbekannte Nummer. Sie starrte auf das Telefon, als wäre es eine Bombe, die jeden Moment explodieren könnte. Der Gedanke, nicht abzunehmen, war da, aber die Neugier war stärker. Sie drückte auf „Annehmen“ und brachte das Handy langsam ans Ohr. „Hallo?“ Ihre Stimme war kaum mehr als ein Flüstern. „Claire Bennett?“ Die Stimme auf der anderen Seite war tief und ruhig, mit einer Kälte, die ihr einen Schauer über den Rücken jagte. „Wer ist da?“ fragte sie. „Das ist unwichtig.“ Ein kurzes Zögern. „Das, was Sie haben, ist nicht für Sie bestimmt.“b„Wovon reden Sie?“ Sie versuchte, sich dumm zu stellen, aber ihre Stimme verriet sie. „Sie wissen genau, wovon ich rede.“ Die Stimme war jetzt schärfer. „The Red File. Sie haben sie geöffnet, nicht wahr?“ Claire sagte nichts. Ihre Finger umklammerten das Handy so fest, dass ihre Knöchel weiß wurden.B„Hören Sie mir zu, Claire.“ Die Stimme senkte sich, wurde leiser, gefährlicher. „Das, was Sie sehen, gehört Menschen, die Sie nicht verstehen. Sie spielen mit Dingen, die Ihnen das Leben kosten könnten.“bClaire wollte etwas sagen, aber die Leitung war plötzlich tot. Der Raum fühlte sich kälter an, als er sollte. Sie legte das Handy zitternd auf den Tisch und blickte wieder auf den Laptop. Das Symbol der Datei pulsierte weiter, rot und lebendig. Die Koordinaten auf der Seite schienen sie auszulachen, eine Einladung oder vielleicht eine Drohung. „Verdammt“, murmelte sie und griff nach einer Zigarette, obwohl sie seit zwei Jahren nicht mehr geraucht hatte.BIhr Leben hatte sich innerhalb von Stunden in ein Labyrinth verwandelt, und sie hatte das Gefühl, dass der Ausgang weit hinter dem Horizont lag. Eines wusste sie jedoch: Was auch immer das hier war, es war erst der Anfang.
***Laden Sie NovelToon herunter, um ein besseres Leseerlebnis zu genießen!***
34 Episoden aktualisiert
Comments